Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
Du warst bei diesen Bestien. Sie haben dich verdorben.“
„Nein. Sie haben mir geholfen.“
„ Ich habe dir geholfen. Ich habe dafür gesorgt, dass dir niemand schadet. Ich habe dir ein Leben geschenkt, nachdem deine Eltern dich verstoßen haben.“
„Ja, Sie haben mir geholfen.“ Nur nicht aus Sympathie oder Mitleid, sondern aus purem Eigennutz. „Und jetzt schließen Sie endlich diese Handschellen auf, damit ich Ihnen helfen kann.“
Er stieß einen leisen Seufzer aus, der in einem schweren Hustenanfall endete. Als er vorbei war, keuchte er: „Du hättest nach Hause gehen sollen, so wie ich es dir gesagt habe. Aber du hast dich mir widersetzt, und deine Wächter konnten mir keinen Bericht mehr erstatten. Und als ich dich geortet hatte, war es schon zu spät. Ich wünschte, ich wäre früher da gewesen, aber ich konnte ja nicht einfach so an die Tür klopfen. Ich brauchte einen Plan.“
„Mich geortet? Was für einen Plan?“
„Die Explosion. Um die Bestien abzulenken und dich zurückzuholen. GPS. In deinem Arm.“
Oh Gott. Sie hatten die Bombe ihretwegen hochgehen lassen. Tränen der Schuld stiegen ihr in die Augen. Es ist meine Schuld. Sie hätten alle ihretwegen sterben können. „Das mit dem GPS verstehe ich nicht.“ Sie musste sich zwingen, die Worte an dem harten Kloß vorbeizuquetschen, der ihre Kehle blockierte.
„Keine Verhütung, wie wir dir gesagt haben. Der Chip. Wir konnten dich immer aufspüren.“
Sie starrte ihn fassungslos an. Sie fühlte sich verraten, war verletzt und wütend. Und all diese Emotionen vermischten sich mit ihrem Schuldgefühl. Wie konnten sie es nur wagen! Noch nie hatte man sie mehr verletzt. Sie wollte weinen; sie wollte schreien. Zum ersten Mal in ihrem Leben wollte sie jemanden umbringen.
Dann war ich wohl doch ein Köder, dachte sie beinahe hysterisch. Wenn auch unbeabsichtigt, aber sie hatte die Jäger direkt zu Maddox’ Haustür geführt.
„Gestern haben wir zugelassen, dass sie einen von uns gefangen nehmen“, erklärte er mit glasigem Blick. „Er hat die Dämonen zu einem Club geführt. Wir haben sie dort gelassen, als wir sie hätten mitnehmen können. Deinetwegen.“ Er lächelte sie schwach an, bevor er von einem weiteren Hustenanfall geschüttelt wurde. Als er wieder still war, sah sie eine feine, rote Linie Blut aus seinen Augen fließen, wie kleine, giftige Wasserläufe.
„Machen Sie mich los, Dr. McIntosh. Bitte. Ich habe Ihnen all die Jahre geholfen. Lassen Sie mich hier nicht sterben.“
Er schwieg mehrere Sekunden lang. Dann hievte er sich überraschenderweise auf die Füße. Er schlurfte zu ihr hinüber und kniete sich hinter sie. Völlig ermattet öffnete er die Handschellen. Mit einem Scheppern fiel das Metall zu Boden. Sie war frei.
Sie rutschte vom Stuhl und kniete sich neben ihn. Er atmete schwer und rang nach Luft. Er sah nicht so aus, als würde er die nächste Stunde überleben. Trotz ihrer Wut und trotz allem, was er getan hatte, empfand sie Mitleid für ihn. „Wo sind die anderen Frauen?“ Erst die Informationen, dann die Flucht.
Eine Pause. Pfeifendes Ausatmen. „In einem Flugzeug nach New York.“
„Wohin genau in New York?“
Er schloss die Augen und schien abzudriften.
„McIntosh! Bleiben Sie wach und reden Sie mit mir.“
Seine Augenlider zuckten. Auf – zu, auf – zu. Sein Körper wurde zusehends schwächer. „Sie werden … ausgetauscht gegen Büchse. Du wirst sehen … eines Tages“, flüsterte er. „Bessere Welt ohne sie.“ Er öffnete kurz die Augen und sah sie an. „Hübsches Ding. Vater wäre stolz.“ Er sprach nicht länger in verständlichen Sätzen. Unzusammenhängende Gedankenfetzen flossen unsortiert aus seinem Mund. Dann schloss er die Augen wieder, und dieses Mal blieben sie geschlossen. „Was ist los mit mir?“
„Ich weiß es nicht.“ Ihre Stimme zitterte. „Sie müssen in ein Krankenhaus.“
„Ja.“ Eine Sekunde später fiel sein Kopf zur Seite, und sein Körper erschlaffte vollends.
Ashlyn schlug sich die Hand vor den Mund. McIntosh war tot. Ja, er hatte sie verraten, und ein Teil von ihr hasste ihn dafür. Aber das kleine Mädchen in ihr sehnte sich noch immer nach seiner Anerkennung.
Zitternd und blind vor Tränen sprang sie auf die Füße, ohne ihm vorher den Schlüssel aus der Hand zu nehmen. Den würde sie nicht brauchen. Sie hatte vor, denselben Weg nach draußen zu nehmen wie der Gefangene.
Aber zuerst … Mach schon. Es wird zwar wehtun, aber du musst es tun. Mit
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