Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
zitternden Händen nahm sie den Stuhl, auf dem McIntosh zuvor gesessen hatte, und schlug ihn so oft gegen die Gitterstäbe, bis ein Bein abbrach. Mit der gezackten Bruchkante schabte sie verzweifelt über ihren Arm. Sie zuckte zusammen und biss die Zähne zusammen, um nicht laut zu schreien. Als das Blut floss, wimmerte sie vor Schmerzen. Endlich bekam sie den GPS-Chip zu fassen. Sie zog ihn heraus, warf ihn auf den Boden und verscharrte ihn im Dreck.
Beeil dich, Darrow, beeil dich. Sie durfte es nicht riskieren, den anderen Mitarbeitern des Instituts in die Arme zu laufen. Zwar waren die meisten vermutlich krank, so wie McIntosh gesagt hatte. Aber das hieß nicht, dass diejenigen, die wohlauf waren, sie mir nichts dir nichts aus dem Gefängnis spazieren ließen. Sie rief sich die Stimme des Gefangenen ins Gedächtnis, stolperte zur einzigen Toilette in der Zelle und drehte an den Schrauben, mit denen sie an der Wand befestigt war. Einige wollten sich einfach nicht bewegen, und sie brach sich fast die Finger, während sie sie bearbeitete. Als die letzte in den Schmutz fiel, trat sie die Toilette von der Wand.
Ein von Menschenhand gefertigtes Loch starrte sie düster an – ein Loch, das direkt zur Außenwelt führte. Alles in ihr sträubte sich dagegen, in den engen, pechschwarzen Gang zu krabbeln, aber nach einem Blick zurück auf McIntoshs leblosen Körper, stieg sie hinein. Völlige Finsternis umgab sie.
„Keine Panik“, redete sie sich gut zu, während sie in ihrem Kopf die Stimme des Gefangenen dieselben Worte sagen hörte. Ihr Atem hallte von den matschigen Wänden wider. Eine Ratte lief ihr über die Finger.
Sie schrie kurz auf.
Sie kroch eine halbe Ewigkeit, bis ihre Beine vor Anstrengung brannten. Es wäre halb so schlimm gewesen, hätte sie nicht bergauf kriechen müssen. Erdklumpen fielen auf sie herab, fielen ihr in den Mund und bildeten einen schmierigen Belag auf ihrer Zunge. Weiter. Einfach weiter.
Sie fühlte sich wie die Jungfrau Maleen, die sich den Weg in die Freiheit bahnte. Dieser Gedanke ließ sie wieder an die merkwürdige Unterhaltung mit der Göttin denken. Oder an die Halluzination. Ashlyn würde sich nie wieder wünschen, in einem Märchen zu leben.
Am Ende des Tunnels tauchte ein Licht auf, klein aber sichtbar. Erleichterung machte sich in ihr breit und beschleunigte ihre Bewegungen. Im nächsten Moment fand sie sich vor einer kleinen Öffnung, durch die noch nicht mal ein Kind gepasst hätte. „Nein. Nein!“ Verzweifelt grub und grub und grub sie.
Nach einer Ewigkeit erhaschte sie einen Blick auf den vom Mond erleuchteten Himmel. Vor Erleichterung und Erschöpfung waren ihre Arme kraftlos und schlaff. Dennoch gelang es ihr, sich auf den gefrorenen Boden hochzuziehen. Mit pochenden Knien stellte sie sich aufrecht hin. Um sie herum erhoben sich schneebedeckte Bäume. Sie zitterte am ganzen Leib. Maddox’ schlackernde Kleidung hielt sie kaum warm.
Ein Mann schrie. Es war ein gequältes Schreien.
Sie erstarrte. Maddox. Maddox! Es musste schon Mitternacht sein. Hastig blickte sie sich um und erspähte die Burg am Horizont, doch der Schrei war aus einer anderen Richtung gekommen. Als sie ihn wieder hörte, lief sie trotz aller Erschöpfung los und folgte dem Geräusch. Noch ein Schrei. Dann ein Brüllen.
„Ich komme. Ich komme!“
Während Ashlyn rannte, begann sie zu husten.
22. KAPITEL
A ls Maddox erwachte, hielt der Schrecken ihn bereits fest in seinen Klauen. Ashlyn brauchte ihn.
Er war … nicht im Wald, wie er feststellte. Nein, er lag in seinem Bett, in seinem Zimmer und starrte wie jeden Morgen an die gewölbte Decke. Aber er war nicht gefesselt.
Wieso nicht? Warum?
Sonnenlicht fiel durchs Fenster und wärmte ihn. Er hatte Ashlyn nicht rechtzeitig gefunden, und dann hatte Tod ihn daran gehindert, weiterzusuchen. Reyes, dachte er. Reyes muss mich nach Hause geschleppt haben.
Fest entschlossen, die Suche fortzusetzen, sprang Maddox aus dem Bett. Heute würde er sie finden, kostete es was es wollte. Wir werden die Welt Stück für Stück zerstören, bis sie in Sicherheit ist.
Er würde keine Pause machen, bis …
Er hörte eine Frau husten und verharrte in seiner Bewegung. Er war gerade im Begriff gewesen, auf den Flur zu laufen, doch jetzt wirbelte er herum. Ashlyn lag auf seinem Bett. Der Schrecken fuhr ihm mit derselben Kraft in die Knochen wie jede Nacht das Schwert in den Bauch.
Er rieb sich mit der Hand über die Augen, aus Angst, sich alles nur
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