Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
Freunden zu wechseln, trug er sie aus der Burg. Sie fragten ihn nicht, was er vorhatte, vermutlich weil sie den Ausbruch von Gewalt fürchteten. Womit sie recht hätten. In ihm tobte der Dämon. Auch er sorgte sich um Ashlyn und hätte am liebsten ein Blutbad angerichtet. Diesmal jedoch nicht vor Wut, sondern aus Hilflosigkeit und Verzweiflung.
Im Eiltempo lief Maddox den Hügel hinunter in die Stadt. Das Mondlicht erinnerte ihn voller Hohn daran, dass er ihr schon gestern nicht hatte helfen können. Rette sie, du musst sie retten. Sie gab keinen Laut von sich. Selbst zum Husten war sie inzwischen zu schwach. Die Straßen der Stadt waren verwaist. Koste es, was es wolle – du musst sie retten.
Er brachte sie ohne Umwege in das Krankenhaus, das er gestern während der erfolglosen Suche nach ihr entdeckt hatte. Das Gebäude platzte fast aus allen Nähten. Hunderte Menschen husteten sich hier die Seele aus dem Leib. Und starben. Er wollte sie nicht hier lassen, wollte den Ärzten nicht ihr Leben anvertrauen. Aber er wusste auch nicht, was er sonst tun sollte.
In einem überfüllten, weiß gestrichenen Flur fand er einen Mann mit Handschuhen und Mundschutz, der Anweisungen erteilte. „Helfen Sie mir“, unterbrach er den Mann. „Helfen Sie ihr. Bitte.“
Der Mann in dem weißen Mantel warf einen flüchtigen Blick auf Ashlyn und seufzte müde. „Jeder hier braucht Hilfe, Sir. Sie müssen warten, bis Sie an der Reihe sind.“
Maddox durchbohrte ihn mit einem finsteren Blick und wusste, dass der Dämon auf seinem Gesicht aufblitzte. Er wusste, dass seine Augen feuerrot waren.
„Sie sind … Sie sind … einer von ihnen. Vom Hügel.“ Der Mann schluckte. „Legen Sie sie dort hin.“ Er zeigte auf ein Bett mit Rollen am Ende des Flurs. „Ich werde mich persönlich um sie kümmern.“
Maddox befolgte die Anweisungen. Dann küsste er Ashlyns weiche Lippen. Noch immer keine Reaktion. „Retten Sie sie“, befahl er.
„Ich … ich werde mein Bestes tun.“
Bitte lasst sie überleben. Er wollte bei ihr bleiben, sie beschützen, über sie wachen. Sich um sie kümmern. Mehr als alles andere wollte er bei ihr sein. Doch dann ging er fort und hinaus in die Nacht. Bald war Mitternacht.
Gleich am Morgen käme er zurück. Wehe der Welt – wehe den Göttern –, wenn er sie dann nicht lebend und wohlbehalten hier vorfand.
Reyes fluchte, als er den Flughafen und die nahe gelegenen Hotels und Krankenhäuser absuchte. In zwei Tagen hatte er mehr von der Stadt gesehen, als während all der Jahrhunderte, die er schon hier lebte. Er fühlte sich wie ein Tier in einem Käfig, das sich frei bewegen wollte, aber nicht ausbrechen konnte. Danika war immer noch irgendwo hier draußen. Vielleicht war sie genauso krank wie Ashlyn. Vielleicht lag sie im Sterben. Und er fand nicht einen Hinweis auf sie.
Es war schon wieder dunkel, und er stellte überrascht fest, dass er in derselben Gasse gelandet war, in der er und Maddox bereits am Vorabend gestanden hatten. Er konnte die Stelle sehen, an der Maddox wütend gegen die Mauer geschlagen hatte. Die Steine waren zertrümmert und verformt.
Reyes war kurz davor gewesen, in ein Flugzeug nach New York zu springen, aber er wusste, dass er sich nicht allzu weit von Maddox’ Seite entfernen durfte. Als die Götter Maddox dazu verflucht hatten, jede Nacht zu sterben, hatten sie auch ihn verflucht und wie mit Eisenketten an seinen Freund gefesselt. Warum gerade ihn und nicht Aeron, wusste er nicht. Er wusste nur, dass er bis Mitternacht wieder in der Burg sein müsste. Und er kam immer zurück.
Er hatte sich schon mehrmals freigenommen, um zu testen, wie weit seine Fesseln reichten, und um auszuprobieren, wie die Götter reagierten, aber jede Nacht um Punkt zwölf wurde er an Maddox’ Seite gezogen.
„Verdammt noch mal!“ Er zog einen Dolch aus der Scheide und führte die Spitze über seinen Oberschenkel. Der Stoff riss auf, und Blut rann aus der Wunde. Was sollte er bloß tun? Zum ersten Mal empfand er ein tiefes, dringliches Bedürfnis zu helfen und zu retten. Zu beschützen. Aber nur Danika gegenüber. Er wollte noch einmal in diese engelsgleichen Augen schauen und einen Hauch von Glück spüren.
Ein Glück, das er eigentlich nie hätte erfahren sollen.
Aber er hatte es erfahren, und jetzt wollte er mehr.
Die Götter hätten nicht Aeron damit beauftragt, sie aufzuspüren und zu töten, wenn sie an Torins Krankheit sterben könnte, oder wenn die Jäger bestimmt wären, ihr den
Weitere Kostenlose Bücher