Die Herren der Unterwelt 02 - Schwarzer Kuss
nicht mehr. Das wusste er nur zu genau. Und dennoch hatte Anya ihn geradezu angebettelt, mehr von ihm zu bekommen.
Und nun konnte er ihr Bild nicht mehr aus seinen Gedanken vertreiben. Sie war groß, sie hatte die perfekte Größe für eine Frau mit einem perfekten Elfengesicht und einer perfekten Haut, die samtig und von der Sonne gebräunt war: zart und so erotisch schimmernd, dass ihm unwillkürlich das Wasser im Mund zusammenlief. Er stellte sich vor, jeden einzelnen Zentimeter mit seiner Zunge zu liebkosen.
Ihre Brüste hatten fast die himmelblaue Korsage gesprengt, und unter ihrem schwarzen Minirock hatten schier endlos lange Beine hervorgeschaut, die in schwarzen, hochhackigen Stiefeln steckten.
Ihr Haar war hell und fiel einem Schneesturm gleich über ihre Schultern. Sie hatte große blaue Augen, die perfekt zur Farbe ihres Tops passten, eine niedliche Nase, volle rote Lippen, zum Küssen wie geschaffen, und gerade weiße Zähne. Sie strahlte eine gewisse Verdorbenheit aus und versprach höchsten Genuss, als sei sie seine Traumfrau, die zum Leben erweckt worden war.
Eigentlich hatte er sie nicht mehr aus dem Kopf bekommen können, seit sie vor Wochen in sein Leben getreten war und Ashlyn gerettet hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich nicht zu erkennen gegeben, aber ihr Geruch nach Erdbeeren hatte ihn zutiefst erfüllt.
Bei der Erinnerung daran wie sie schmeckte, spürte Lucien sein Herz pochen, seine Kehle brennen und seine Haut vor Hitze kribbeln. Die gleichen Gefühle übermannten ihn, wenn er seine Freunde Maddox und Ashlyn zusammen sah, wenn sie miteinander turtelten und schmusten. Die beiden liebten sich so sehr und hielten einander fest, als hätten sie Angst, sich jemals loslassen zu müssen.
Überraschenderweise hob sich der Nebel auf einmal und gab ihn frei. Als er wieder klar denken konnte, bemerkte Lucien, dass er immer noch draußen war. Anya war fort, und seine Freunde um ihn herum schienen wie eingefroren. Er kniff die Augen zusammen, während er nach hinten zu seinem Hosenbund griff und den Schaft seines Dolches umfasste. Was ging hier vor?
„Reyes?“ Er bekam keine Antwort. Reyes zwinkerte noch nicht einmal. „Gideon? Paris?“
Nichts.
Etwas weiter im Schatten bewegte sich etwas. Langsam zog Lucien seine Waffe aus der Scheide und wartete. Er war auf alles gefasst … bis ihm ein Gedanke kam. Anya hätte seinen Dolch nehmen und ihn gegen ihn richten können, und er hätte es niemals rechtzeitig geahnt. Es wäre ihm egal gewesen, denn er war zu verzaubert von ihr gewesen. Aber sie hatte ihn nicht angegriffen, obwohl es für sie ein Leichtes gewesen wäre. Sie wollte ihm also tatsächlich nichts antun.
Warum hatte sie ihn dann angesprochen? Er war ratlos.
„Hallo Tod“, sagte eine sehr ernste männliche Stimme. Niemand war da, aber etwas oder jemand nahm Lucien die Waffe aus der Hand und warf sie auf den Boden. „Weißt du, wer ich bin?“
Lucien ließ sich nichts anmerken, doch in ihm stieg eine derartige Angst auf, dass er stocksteif wurde. Er hatte die Stimme noch nie gehört, dennoch wusste er, wem sie gehörte. Tief in seinem Innersten wusste er es. „Lord Titan“, sagte er heiser. Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte es Lucien gefreut, von diesem Gott angesprochen zu werden. Aber jetzt sah die Sache anders aus.
Vor einem Monat hatte Aeron, der Hüter des Zorns, die Aufmerksamkeit des Lords erregt. Er sollte den Auftrag bekommen, vier Menschenfrauen umzubringen. Den Grund wollten die Titanen nicht preisgeben. Aeron hatte abgelehnt und war nun im Verlies der Herren der Unterwelt gefangen. Ihn herauszulassen, war viel zu gefährlich, denn er war für sich und die Welt zu einer Bedrohung geworden. Jede Minute des Tages verzehrte sich der Krieger nach Blut.
Lucien bedauerte es, seinen Freund in dieser Verfassung sehen zu müssen, denn er glich eher einem Tier als einem Lord. Noch schlimmer war für Lucien das Gefühl, so machtlos zu sein und ihm trotz seiner Stärke nicht helfen zu können. Und daran war das Wesen schuld, das jetzt vor ihm stand.
„Wem verdanken wir denn heute diese … Ehre?“, erkundigte er sich gespannt.
Lautlos und fließend wie Wasser trat Cronus aus einem orangefarbenen Mondstrahl. Sein Haar war silbergrau, ebenso sein Bart. Seinen großen, schlanken Körper hatte er in einen Umhang aus Leinen und Dalmatinerfell gehüllt, das wie Seide glänzte. Seine Augen waren dunkle abgrundtiefe Höhlen.
In seiner linken Hand hielt er die Sichel des
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