Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust
begegnete, umzubringen.
„Na los, erzähl schon“, drängte Reyes.
„Ja“, gab er schließlich mit lauter Stimme zu, wohl wissend, dass diese Prahlerei ihr Ziel nicht verfehlen und tiefe Wirkung haben würde. „Ich weiß, wo sie sind.“ Was ist nur aus dir geworden? Eigentlich sollte er sich schuldig fühlen, das war ihm bewusst, aber er konnte die Energie dazu nicht aufbringen. Er war tief unter der Erde eingekerkert, und seine Emotionen waren schlicht verdörrt, nur Hass war noch übrig geblieben. Und die Sehnsucht, allem Lebendigen den Tod zu bringen.
Reyes’ Nasenflügel bebten, und seine Augen loderten wie Vulkane. Ja, Kontakt!
„Kann ich sssein Blut sssaugen?“, fragte Legion und grub seine Klauen in Aerons Schulter. „Bitte! Bitte sssehr!“
„Nein“, wies Aeron ihn zurecht. Reyes verdiente nichts anderes als einen schnellen Tod – wenn es zu lange dauerte, würde der Krieger nur wieder in seinen Schmerzen schwelgen, sich an den zerfetzten Venen und dem strömenden Blut weiden. Und Genuss verdiente Reyes nicht. Denn Reyes enthielt ihm das Mädchen vor. Und für diese Freveltat musste er mit aller Härte bestraft werden.
Freveltat? Das ist doch keine Freveltat. Es ist eine Gnade. Das bist doch nicht du. Geh dagegen an.
Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Es gab nichts zu bekämpfen. Er hatte einen Auftrag erhalten, und den würde er ausführen.
„Wasss issst mit Mädchen?“, erkundigte sich Legion. „Kann ich Mädchen aussstrinken?“
Reyes ließ ein tiefes Knurren hören.
„Nein“, sagte Aeron. „Die gehört mir.“
Jetzt kam Reyes auf ihn zu. Eine silberne Klinge blitzte in seiner Hand. „Sie gehört mir.“ Als er bemerkte, dass er mitten in der Zelle stand, blieb er stehen, gerade noch außerhalb von Aerons Reichweite.
Zu dumm. „Ich weiß, dass sie hier ganz in der Nähe ist“, sagte Aeron mit seidenweicher Stimme. „Ich rieche ihren kräftigen Duft und kriege unbändige Lust, sie mir sofort zu holen.“
Reyes trat ein paar Schritte zurück und bewachte den einzigen Ausgang. Beschützte sie. Aeron schloss die Augen und hörte in seinem Innern plötzlich ihre Todesschreie: Tu mir nicht weh. Bitte, tu mir nichts!
Mit finsterer Miene kehrte er in die Wirklichkeit zurück. Diese Schreie kamen nicht von Danika. Sie waren real, ausgestoßen von jemand anderem, eine Erinnerung. Jeder einzelne Schrei wirkte wie eine berauschende Liebkosung auf seine verkümmerten Sinne. Ganz klar: Er hatte es immer schon genossen, wenn er jemanden verletzt oder getötet hatte.
Der Geruch von Blut trat ihm in die Nase, süß und sinnlich. Er fühlte sich wie in einer warmen Sommernacht nach einem kalten Tag, oder eher wie in einer milchigen Vollmondnacht nach einem Tag in der prallen, erbarmungslosen Sonne. Er fühlte sich verzückt, so als würde er immer noch über ihrem Körper stehen und ihre Schwäche verhöhnen.
Das bist nicht du. Du verfluchst das alles, du hasst das, was aus dir geworden ist.
Irgendwann einmal – vor einer Ewigkeit? – hatte er Sterbliche beobachtet und war fasziniert gewesen von dem Unterschied zwischen ihrem und seinem Leben. Er wünschte sich oft den Tod herbei, und doch würde er wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit existieren. Sie hingegen, die Menschen, starben jeden Tag ein bisschen und waren doch viel lebendiger und vitaler als er. Sie waren schwach, er war stark. Aber sie fürchteten sich nicht davor, zu lachen und zu lieben.
Liebe – als würden sie nicht wissen, dass ihnen alles, was sie liebten, innerhalb der nächsten Sekunde entzogen werden konnte.
Warum waren sie so?, hatte er sich seitdem oft gefragt. Lange hatte er nach einer Antwort gesucht, aber keine gefunden. Und jetzt war er hier und schwelgte in Erinnerungen an das Foltern einer Sterblichen und malte sich den Tod einer anderen aus.
Selbst Zorn fand diesen Gedanken verwirrend und irgendwie falsch.
Aeron hatte nicht vergessen, dass er und sein Dämon versucht hatten, diese dunkle Blutgier zu bekämpfen. Am Anfang. Aber die Götter hatten gewonnen, und sie beide hatten schließlich aufgegeben. Der Tod floss jetzt durch seine Adern, dicker als Blut. Ironischerweise war der Tod zu seinem einzigen Lebensinhalt geworden.
„Willst du, dass ich dich auf Knien anflehe?“, fragte Reyes mit zusammengekniffenen Lippen.
Würde er das wollen? Aeron grinste, fühlte zum ersten Mal seit Wochen so etwas wie Belustigung. Ja, dachte er, vielleicht würde ihm das tatsächlich gefallen. Denn gerade
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