Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
seine Lippen.
Wieder seufzte sie. „Irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass sie gehen. Aber im Grunde habe ich auch gewusst, dass sie bleiben, um mich für das zu bestrafen, was ich ihnen angetan habe.“
„Sie werden dir nicht wehtun.“ Das ließe er nicht zu.
Sie nahm seine Hand und drückte sie zärtlich. „Wie geht es Danika und Ashlyn?“
„Sie sind dir dankbar und machen sich Sorgen um die Vermissten.“
Gwen runzelte die Stirn und setzte sich hin, wobei ihr das herrliche Haar auf den Rücken fiel. „Ich werde jetzt duschen, um meinen Kopf freizukriegen. Würdest du die anderen bitte zu einem Treffen rufen? In, sagen wir … einer Stunde?“
Er fragte sie nicht nach ihren Gründen, sondern vertraute ihr einfach. So wie er es gesagt hatte. „Ist so gut wie erledigt.“
26. KAPITEL
G ideon stand am Rande des Wahnsinns. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren und wusste nicht, wie lange sie schon gefangen waren. Einen Tag? Zwei? Ein Jahr? Es gab keinen einzigen Lichtstrahl, an den er sich klammern konnte, nichts, das ihn irgendwie daran erinnerte, dass es da draußen eine Welt gab – eine Welt, in die er schon bald zurückkehren würde, mit fairen Mitteln oder mit unfairen.
Doch zuerst brauchte er etwas Ruhe und Frieden, um sich einen Fluchtplan auszudenken.
Sein Dämon, der normalerweise eher zurückgezogen in seinem Geist lebte, musste erst aufhören, laut in seinem Kopf zu schreien. „Rein, rein, rein“, schrie er und meinte „Raus, raus, raus.“
„Ich brauche Dunkelheit, brauche Dunkelheit“, schluchzte er, was hieß: „Ich brauche Licht, brauche Licht.“ Lüge dachte, er wäre wieder in der Büchse der Pandora eingesperrt – ohne Chance auf ein Entkommen, vergessen und verlassen.
Offenbar dachten die anderen dasselbe. Lucien stöhnte in regelmäßigen Abständen, obwohl Anya die ganze Zeit da war, um ihn zu beruhigen. Reyes war überraschend ruhig. Hin und wieder murmelte er Danikas Namen, um dann über Stunden zu schweigen. Amun knurrte und brummte tief, als bekämpfte er eine Horde Dämonen, die größer war, als Gideon es sich vorstellen konnte. Die Geheimnisse, die wahrscheinlich durch seinen Geist zogen …
Strider, der überlistet worden war und somit ein Psychospiel verloren hatte, schlug kontinuierlich den Kopf gegen eine Wand. Vermutlich kreischte sein Dämon. Und auf jeden Fall durchlitt er Höllenqualen. Gideon hatte erst einmal erlebt, dass der Krieger die Kontrolle verloren hatte. Aber dieses eine Mal hatte sich tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Noch nie hatte er einen erwachsenen Mann erlebt, der sich mit solcher Gewalt krümmte, dem so viele Tränen über das aschfahle Gesicht liefen, in dessen Augen nicht der gewöhnliche Stolz leuchtete, sondern der pure Schmerz. Einen Mann, der die Zähne so fest aufeinanderbiss, dass es zu bluten begann.
Konzentrier dich, Dummkopf. Schon mehrfach hatten sie versucht, die Rollläden aufzudrücken oder die Ziegelwände einzuschlagen. Anya, die Einzige, die noch über ihre Fähigkeiten verfügte – wenn auch nur in abgeschwächter Form –, hatte Wirbelstürme durch das Zimmer geschickt, womit sie jedoch nur die Männer verletzt hatte, das Gebäude jedoch nicht hatte beschädigen können. Alles war bewehrt und nochmals bewehrt worden – durch Zaubersprüche? –, bis ihr Gefängnis anscheinend ausbruchsicher geworden war.
„Ich werde noch mal nach einem Weg nach draußen suchen“, sagte Anya. Sie war die Ruhigste von allen – eine Ironie des Schicksals, da sie im Chaos doch erst richtig aufblühte. Man hörte Kleidung rascheln, Lucien stöhnen, ein Gurren von Anya und dann Schritte.
Gideon hatte sich immer dagegen gesträubt, sich fest an eine Frau zu binden. Er bevorzugte die Abwechslung. Im Augenblick erschien ihm das allerdings dumm. Er hatte niemanden, an den er denken, den er sich herbeiwünschen oder von dem er träumen konnte. Niemanden, der ihm half, sich so zu konzentrieren, wie Reyes es tat. Niemanden, der ihn so beruhigte, wie es bei Lucien funktionierte.
Welche Frau würde schon länger bei dir bleiben?
Wie? War er jetzt von Zweifel besessen?
Rums.
„Tut mir leid“, murmelte Anya. „Wen habe ich getroffen?“
„Ich muss …“ Striders Atem ging flach und rasselnd. „Hilfe. Helft mir. Bitte.“
„Gleich“, versprach Anya und beruhigte ihn ein paar Minuten lang. Noch mehr Schritte.
Peng. Kratz.
„Sieh an, sieh an. Was haben wir denn da?“, erklang eine Stimme aus einem versteckten
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