Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
sah.
„Komm mit“, forderte der Junge Anya auf. „Bitte.“
„Netter Trick.“ Langsam und mit ausgebreiteten Armen drehte sie sich um. „Du hast ein Kind in die Höhle des Löwen geschickt? Feige, findest du nicht auch? Und denkst du wirklich, dein kleines Haustier kann mich zu irgendetwas zwingen, das ich nicht will?“
„Ja, das kann ich“, erwiderte der Junge ernst. „Aber es gibt keinen Grund, Gewalt anzuwenden.“
Lucien schob Anya hinter seinen Rücken. Seine Augen leuchteten rot, und er fletschte die Zähne. Den ansonsten so gelassenen Krieger am Rande des Wahnsinns zu sehen tat beinah weh. Der Mann liebte seine Frau und würde für sie sterben. Er würde eher sterben als zulassen, dass man ihr wehtat.
Mit staksigen Bewegungen stellte Gideon sich neben Tod. Zwar wusste er nicht genau, was er tun sollte, aber eines wusste er definitiv: Er konnte nicht einfach tatenlos zusehen. Aber mal ehrlich: Wer stank hier eigentlich nach dem Bösen? Die Männer in der Falle oder die Männer, die ein Kind in den Krieg geschickt hatten?
Reyes, Strider und Amun stellten sich neben Gideon und bildeten einen Schutzwall vor Anya.
„Komm“, wiederholte der Junge und zog dabei die Augenbrauen hoch. „Bitte. Ich möchte dir nicht wehtun.“
„Ist er nicht wunderbar?“, fragte Stefano lachend. „Ich hoffe wirklich, dass ihr ihn mögt – meine neueste Waffe gegen euch. Eigentlich wollte ich ihn jetzt noch gar nicht einsetzen. Aber dann musstet ihr ja nach Ägypten kommen und meine Brutapparate stehlen. Tja, die werde ich schon wiederfinden und auch wieder benutzen. Vor allem den Brutapparat, den unser Freund Sabin so gernhat.“
„Ich freue mich ja so, von dir zu hören, Stefano“, sagte Gideon und ignorierte die höhnischen Sticheleien. „Das ist erstaunlich …“, krank, „selbst für dich.“
Kurz schwieg Stefano. Dann sagte er: „Ahh, Lüge. Es ist mir eine Freude, wie immer. Wie lästig dein Dämon doch sein muss. Aber ich habe gute Nachrichten für dich: Wir haben einen Weg gefunden, die Dämonen aus euren Körpern zu ziehen und in jemanden anders zu sperren. In jemanden Schwächeres, der ihn zum Wohle der Menschheit gern in sich aufnimmt. Wir haben sogar schon mal den Ernstfall geprobt, bei Sabin. Natürlich, nachdem wir ihn besiegt haben. Er hat wirklich bis aufs Blut gekämpft, der gute Sabin, aber am Ende ist er gefallen. Genau. Wie. Ihr.“
Zum Teufel, nein. Sabin war nicht tot. Sabin konnte nicht tot sein. Er war viel zu kräftig, viel zu entschlossen. Außerdem war es unmöglich, die Dämonen aus ihren Körpern zu ziehen und in andere Körper zu setzen. Das konnte einfach nicht möglich sein.
„Du glaubst mir nicht.“ Wieder lachte Stefano. „Das macht nichts. Du wirst mir spätestens glauben, wenn wir es mit dir machen. Aber erklär mir mal eines: Warum, meinst du, ist dein Freund nicht hier, um euch zu retten?“
Das hatte Gideon sich auch schon gefragt. Lass dich von Stefano nicht provozieren. Erlügt. Später kannst du …
Er rammte eine Faust gegen die Wand zu seiner Rechten. Staubwölkchen stiegen auf. Dann schlug er noch mal zu, und noch mal. Ihm traten die Tränen in die Augen. Er schlug so oft zu, bis seine Knochen brachen und seine Muskeln rissen. Er hatte abertausende Jahre mit Sabin verbracht und war davon ausgegangen, dass noch viele weitere Tausend kämen.
„Arme Lüge. Tz, tz, tz …“, machte Stefano. „Ganz ohne Anführer. Was wirst du jetzt nur machen?“
„Fick dich!“, brüllte Gideon. „Ich werde dich umbringen. Ich werde dich verdammt noch mal umbringen.“ Und diesmal meinte er, was er sagte. Es war die Wahrheit. Etwas, das er wirklich vorhatte; etwas, das er auf Teufel komm raus in die Tat umsetzen würde. „Du wirst durch meine Hand sterben, du Hurensohn!“
Als die hitzigen Worte im Zimmer widerhallten, schrie sein Dämon erst vor Schreck auf – und dann vor Schmerz. Der Schmerz bahnte sich seinen Weg in Gideons Körper und riss ihn Zelle für Zelle auseinander. Es fühlte sich an, als würde jedes einzelne seiner Organe platzen und die Knochen aus den Gelenken springen. In seinem Kopf schlug Lüge wild um sich, warf sich hin, suchte vergebens nach Halt und biss sich in die Zehen, als der Schmerz ihn in den Wahnsinn trieb. Doch das war noch immer nicht genug. Der Dämon rauschte durch seinen restlichen Körper, schrie, zerriss Venen und hinterließ nichts als Säure.
Gideons Knie gaben nach, und er sank zu Boden. Der Dolch, den er in seiner
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