Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
an!“, schrie sie. Kleine goldene Flammen züngelten von ihren Fingern, doch sie waren matt und kraftlos. „Ich habe sowohl in diesem Reich Macht als auch in dem anderen. Wenn du ihn berührst, wirst du verbrennen. Glaub mir. Ich werde keine Sekunde zögern. Ich habe schon Schlimmeres getan.“
Braune Welpenaugen flehten sie an, ihm zu erlauben, das zu tun, was man ihm befohlen hatte. Das arme Kind. Sein Arm zitterte, und sein Körper schien Reue zu versprühen.
„Wie ich sehe, befinden sich zwei Lügner im Zimmer“, sagte Stefano. „Mir ist egal, über welche Kräfte du verfügst. Dieser Junge ist der Sohn eines Geisterbeschwörers und in der Lage, zwischen den Toten zu leben und zu wandeln. Er kann nach Belieben beide Welten betreten, und nichts und niemand kann ihn berühren, solange er in der anderen Welt ist.“
„Ich schlafe mit einem Geisterbeschwörer, du Idiot. Luden kann selbst zwischen den Toten wandeln.“ Anya hob das Kinn. Ihre blauen Augen tränten und funkelten gleichzeitig. „Außerdem bin ich Anarchie, und ich kenne keine Gnade. Wenn dein Haustier auch nur einen Zentimeter näher kommt, wirst du mich in Aktion erleben.“
Gideon kannte sie gut genug, um zu wissen, wann sie bluffte. Die Frau spielte dem Jäger was vor. Sie wäre nie und nimmer fähig, einem Kind etwas anzutun. Zu Hause streichelte sie ständig Ashlyns dicken Bauch und sprach sanft auf das Baby ein. Tante Anya wird dir beibringen, alles zu stehlen, was dein kleines Herz begehrt, das sagte sie am liebsten.
Gideon streckte einen zitternden Arm aus, sah sie mit glasigen Augen an und legte ihr die Finger ums Handgelenk. „Ich hätte keinen Spaß daran, mich um diese Sache zu kümmern“, brachte er trotz des dicken Kloßes in seinem Hals heraus.
„Ich … Ich … Ja.“ Langsam erstarben die Flammen, und Anya nickte. In ihrem Blick lag Erleichterung. Sie bückte sich, packte Lucien bei den Schultern und zog ihn von dem Jungen weg. Amun plapperte noch immer vor sich hin, und Stefano verlangte immer noch von dem Kind, ihn irgendwie zum Schweigen zu bringen.
Als Gideon auf schwachen Beinen weiterging, kreuzte sein Blick den grimmig entschlossenen des Jungen. „Ich werde nicht dafür sorgen, dass der Krieger den Mund hält.“
Obwohl er eine Lüge aussprach, schien der Junge zu verstehen, was er meinte, und nickte. Während er gegen die Schwäche und den Schmerz kämpfte, die seinen Körper ermatteten, beugte Gideon sich zu Amun hinunter und legte seine Lippen an sein Ohr. Und zum ersten Mal seit Jahrhunderten war er in der Lage, jemanden zu beruhigen, ohne von der Wahrheit Gebrauch zu machen. „Alles ist gut. Wir werden alle lebend hier rauskommen. Shhh, schon gut. Alles wird wieder gut.“
Allmählich wurde Amuns Stimme leiser, bis er nur noch unverständliches Zeug in sich hinein nuschelte. Er hielt sich immer noch den Kopf, hatte die Augen geschlossen und sich wie ein Kind zusammengekauert. In dieser Position schaukelte er vor und zurück.
Jemand schlang den Arm um Gideons Taille, und er drehte sich um. Bei der leichten Bewegung drehte sich ihm der Magen um, und ihm wurde vorübergehend schwarz vor Augen. Erst dann sah er, wer ihn berührte. Anya. Wie lange würde er noch aufrecht stehen können? Wie lange würde er noch so tun können, als ob er in Startposition stünde?
Ihr Erdbeerduft stieg ihm in die Nase, als sie Gideon hochzog und er fast gestürzt wäre. „Ich habe nachgedacht. Ich werde freiwillig mit dem Blag mitgehen“, flüsterte sie. Damit Lucien sie nicht hörte?
„Ja“, erwiderte Gideon, obwohl er den Kopf schüttelte. Wieder verkrampfte sich sein Magen, und von Neuem trübten schwarze Punkte seine Sicht.
Sie umfasste sein Gesicht, zog ihn zu sich, als wollte sie ihn küssen, küsste ihn tatsächlich flüchtig, setzte dann die Lippen an sein Ohr und schnurrte: „Außerhalb dieses Zimmers kehren meine Kräfte womöglich ganz zurück. Dann könnte ich Stefano endlich außer Gefecht setzen.“
Wenn Lucien aufwachte und feststellte, dass Anya nicht da war … Nein, Gideon konnte unmöglich zulassen, dass sein Freund solche Qualen erlitt.
Was Lucien betraf, hatte Gideon seine Schuldgefühle noch nicht ganz abgeschüttelt. Seit dem Tag, an dem die Dämonen in sie gefahren waren, war Lucien für ihn wie ein Bruder gewesen. Er hatte Gideon unter seine Fittiche genommen und ihn beruhigt, wenn er zu wild geworden war. Und trotzdem – als die Zeit gekommen war, sich zwischen Lucien und Sabin zu
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