Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
Gwen. Und zwar seit sie an Bord des Flugzeugs waren. Na gut. Von dem Moment an, als er ihr begegnet war. Er hatte gemeint, sie könnte sich nicht entspannen, weil er sie einschüchterte. Deshalb gab er vor zu schlafen. Offenbar hatte er richtiggelegen, denn sie ließ ihre Abwehr fallen und öffnete sich. Strider gegenüber.
Das irritierte ihn zutiefst.
Dennoch wagte er nicht, die Augen ganz zu öffnen. Auch nicht, als Strider versucht hatte, sie zu berühren, und Sabin seinem Freund am liebsten seine Faust in die Nase gerammt hätte, auf dass der Knorpel das Hirngewebe zerstörte. Ihr Gespräch faszinierte ihn.
Das Mädchen – und genau das war sie mit ihren gottverdammten zarten siebenundzwanzig Jahren, gegen die er wie Vater Zeit aussah – hielt sich in jedweder Hinsicht für eine Versagerin und ihre Schwestern für Vorbilder. Hübscher? Unwahrscheinlich. Stärker? Ihn schauderte. Sie hätten sich nicht entführen lassen? Jedem konnte unwissentlich Schaden zugefügt werden. Auch ihm. Sie hatten vor nichts Angst? In jedem schlummerte eine tiefe dunkle Angst. Selbst in Sabin. Seine Versagensängste waren genauso groß wie Gideons Spinnenphobie.
Aber Gwens Schüchternheit und ihr Entsetzen über ihre Tat an jenem Tag in den Katakomben hatten ihn bereits ahnen lassen, dass sie an ihrer Stärke und an ihren Fähigkeiten zweifelte – allerdings hatte er keine Ahnung gehabt, wie tief verwurzelt diese Zweifel waren. Wie sie sich mit ihren Schwestern verglich, offenbarte, dass ein Zweifel den nächsten jagte. Die Frau war voll davon. Und in seiner Nähe würde es nicht unbedingt besser werden.
Alle Partnerinnen, die er in der Vergangenheit gehabt hatte, waren selbstbewusste Frauen und über fünfunddreißig gewesen, verflucht noch mal. Er hatte sich aus genau diesem Grund für sie entschieden – wegen ihres Selbstvertrauens. Doch sie hatten sich schnell verändert, weil sein Dämon die scharfen Krallen der Unsicherheit in sie gebohrt und ihnen tiefe Wunden zugefügt hatte. Ein paar, wie Darla, hatten sich sogar das Leben genommen, da sie die permanente kritische Prüfung ihres Aussehens, ihres Verstandes oder der sie umgebenden Menschen nicht mehr ertragen hatten. Nach Darla hatte er den Frauen und Beziehungen ein für alle Mal entsagt.
Dann hatte er Gwen gesehen. Er begehrte sie – oh, und wie er sie begehrte. Vielleicht kann ich mir eine Nacht mit ihr gestatten und das irgendwie vor mir rechtfertigen, dachte er. Doch er bezweifelte, dass ihm eine Nacht reichen würde. Nicht mit ihr. Dafür gab es zu viele Möglichkeiten, sie zu nehmen, zu viele Dinge, die er mit diesem wohlgeformten kleinen Körper anstellen wollte.
Ihre sinnliche Schönheit entflammte ihn jedes Mal, wenn er sie sah. Dann lief ihm förmlich das Wasser im Mund zusammen, und sein Körper schmerzte. Ihre Unsicherheit weckte seinen Beschützerinstinkt genauso wie die Zerstörungswut seines Dämons. Ihr Sonnenduft, der unter dem Schmutz verborgen lag, den sie sich noch abwaschen musste, waberte unentwegt zu ihm herüber und beschwor ihn, näher zu kommen … immer näher …
Nachzugeben hätte bedeutet, sie zu vernichten. Vergiss das nicht.
Vielleicht werde ich ja gut sein. Vielleicht lasse ich sie in Frieden.
Bei diesem Gedanken biss Sabin sich so fest auf die Zunge, dass er Blut schmeckte. Der Dämon wollte erreichen, dass er seine bösartige Absicht anzweifelte. Darauf bin ich ein einziges Mal hereingefallen, aber das passiert mir bestimmt nicht wieder.
„Das machst du oft“, sagte Strider zu Gwendolyn und riss Sabin damit aus den Grübeleien.
„Was?“ Ihre Stimme klang atemlos und heiser. Zuerst hatte Sabin gedacht, ihre dunkle Seite wäre für dieses Timbre verantwortlich. Aber nein, die Heiserkeit war eine Eigenart von ihr. Und Sex pur.
„Sabin ansehen. Gefällt er dir?“
Offensichtlich schockiert, keuchte sie. „Natürlich nicht!“
Sabin musste sich beherrschen, um sie nicht finster anzustarren. Ein kleines Zögern wäre nett gewesen.
Strider lachte. „Ich glaube, schon. Und soll ich dir was verraten? Ich kenne ihn seit vielen Tausend Jahren – ich kenne also schmutzige Details.“
„Und?“, erwiderte sie scheinbar desinteressiert.
„Und … ich habe kein Problem damit, darüber zu reden. Ich meine, wenn du deine Meinung über ihn ändern solltest, würde ich mich euch beiden gegenüber wie ein Freundverhalten.
Dein Freund will dir das Wasser abgraben, murmelte Zweifel, vielleicht will er sie ja für sich. Ihm
Weitere Kostenlose Bücher