Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
war inzwischen außer Atem. Vermutlich strengte der lange Spaziergang sie an, weil sie sich während ihrer Gefangenschaft wenig hatte bewegen können.
Er schenkte seiner Umgebung einen flüchtigen Blick. Der glänzende Steinboden war mit Gold gemasert – wie ihre Augen. Die Beistelltische waren aus Kirschholz – von einem ebenso strahlenden Rot wie ihr Haar. In die glatten Wände waren gesprenkelte Marmorplatten eingelassen, die absolute Perfektion – wie ihre Haut, obwohl sie mit einer dicken Schicht Schmutz überzogen war.
Wann hatte er angefangen, alles mit ihr zu vergleichen?
Als sie den Absatz der zweiten Treppe erreicht hatten, sah Sabin seine Schlafzimmertür und atmete erleichtert auf. Fast da … Wie würde sie auf das reagieren, was er vorhatte? Würde er der Harpyie begegnen?
Er würde vorsichtig sein müssen. Aber gleichzeitig konnte und würde er keinen Rückzieher machen.
Was, wenn er dir etwas antut?, flüsterte der Dämon ihr plötzlich in den Kopf. Was, wenn er…
„Halt die Klappe, verdammt noch mal!“, presste Sabin hervor, und Zweifel lachte hämisch über den Schaden, den er bereits angerichtet hatte.
Gwen verkrampfte sich. „Musst du so fluchen?“
„Ja.“ Sie folgte ihm jetzt nur noch widerstrebend, und er zog sie zur Tür herein, die er hinter ihnen schloss und verriegelte. Sie sahen einander an. Gwen war blass und zitterte wieder. „Außerdem habe ich nicht mit dir gesprochen.“
„Ich weiß. Diese Unterhaltung haben wir schon mal geführt. Du hast mit deinem Dämon gesprochen. Mit Zweifel.“
Das war eine Feststellung, keine Frage. Er massierte sich den Nacken und wünschte, seine Finger würden sich stattdessen um den Hals der Göttin der Anarchie legen. „Anya hat es dir erzählt.“ Ihm gefiel nicht, dass Gwen es wusste. Er hätte sich um ihretwillen gewünscht, dass sie Zeit gehabt hätte, sich zuerst an ihn zu gewöhnen.
Sie sah sich um. „Nein, William. Der Dämon will also, dass ich … an dir zweifle?“ Sie zwirbelte eine Haarsträhne. Eine weitere nervöse Geste?
„Er will, dass du an allem zweifelst. An jeder Wahl, die du triffst, an jedem Atemzug, den du tust. An jedem, der sich in deiner Nähe befindet. Er kann nicht anders. Er zieht seine Kraft aus der Unentschlossenheit und Verwirrung. Vor ein paar Sekunden konnte ich hören, wie er seinen giftigen Stachel in deine Gedanken gebohrt und versucht hat dir einzureden, dass ich dir wehtun will. Deshalb habe ich geflucht.“
Sie riss die Augen auf, wodurch sich die silbernen Kreise ausdehnten und das Bernsteinfarbene überschatteten. „Das ist es also, was ich höre. Ich habe mich schon gefragt, woher diese Gedanken kommen.“
Während er über ihre Worte nachdachte, runzelte er die Stirn. „Du kannst seine Stimme von deiner eigenen inneren Stimme unterscheiden?“
„Ja.“
Diejenigen, die ihn kannten, erkannten den Dämon oft an seiner Wortwahl. Aber dass ein Fremder zwischen sich und dem Dämon unterscheiden konnte … Wie gelang es ihr? „Das schaffen nicht viele“, erwiderte er.
Ihre Augen wurden noch größer. „Wow. Da habe ich doch tatsächlich eine Fähigkeit, die den meisten fehlt. Und dazu noch eine beeindruckende. Dein Dämon ist raffiniert.“
„Hinterhältig“, stimmte er ihr zu. Er war überrascht, dass sie nicht in Ohnmacht gefallen war, geschrien oder ihn aufgefordert hatte, sofort seine verabscheuungswürdigen Hände von ihr zu nehmen. Sie schien sogar stolz auf sich zu sein. „Sobald er Schwäche spürt, stürzt er sich darauf“, fügte er hinzu.
Ihr Gesichtsausdruck wurde nachdenklich. Dann deprimiert. Dann wütend. Die Botschaft war offenbar angekommen: Sie war schwach, und der Dämon wusste es. Sabin zog ihren Stolz vor.
Sein Blick ruhte auf dem Tablett, das auf der Anrichte stand. Auf dem leeren Tablett. Fast hätte er gegrinst. Anya hatte sie zum Essen bewegt, den Göttern sei Dank. Kein Wunder, dass Gwens Gesichtsfarbe gesünder war und ihre Wangen auf niedliche Art runder wirkten. Was an ihr war sonst noch anders? Aufmerksam musterte Sabin sie. An ihrer Taille entdeckte er drei leichte Rundungen – aber er war sich sicher, dass sie nicht mit ihrer letzten Mahlzeit zusammenhingen.
Er sah sich blitzschnell in seinem Zimmer um und stellte fest, dass die Waffentruhe siebeneinhalb Zentimeter weiter rechts stand als sonst. Gwen musste das Schloss aufgebrochen und den Inhalt gestohlen haben. Diese kleine Diebin, dachte er und beäugte sie wieder.
Sie wand sich unter
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