Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
lebt er noch. Oder?“
„Ich bitte dich! Als wenn wir uns dazu herablassen würden, dieses mickrige Häufchen Elend zu töten. Ich habe nie verstanden, was dir an ihm gefallen hat.“
„Gut. Er hatte keine Ahnung, wo ich war. Jedenfalls nicht so richtig.“
„Wer hat dich denn überhaupt entführt? Und was hast du getan, um sie zu bestrafen, hm, hm? Sie sind tot, stimmt’s? Sag mir, dass sie tot sind, Kleines.“
„Dazu, äh, komme ich später.“ Die Wahrheit. „Ein andermal.“ Wieder die Wahrheit. „Hör zu“, fügte sie hinzu, ehe Bianka weiterfragen konnte. „Im Augenblick bin ich in Budapest, aber ich würde euch drei gern sehen. Ihr fehlt mir.“ Bei den letzten drei Worten brach ihr die Stimme.
„Dann komm nach Hause.“ Bianka hatte noch nie um etwas gebettelt – soweit Gwen wusste –, aber nun klang sie, als stünde sie kurz davor. „Wir wollen dich in unserer Mitte haben. Nicht zu wissen, wo du bist, hat uns fast umgebracht. Mom ist schon vor Monaten ausgezogen, weil wir nicht aufgehört haben, ihr deinetwegen Löcher in den Bauch zu fragen. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, dass sie dir die kalte Schulter zeigt.“
Und sie hatte ihre Schwestern länger als nötig warten lassen … Von Neuem meldete sich ihr schlechtes Gewissen, stärker als zuvor, und Gwen stürzte ohne Umwege in eine Spirale aus Schuldgefühlen. So was habe ich getan. So was habe ich meinen starken, stolzen Schwestern angetan. „Mom ist mir egal.“ Das stimmte. Zumindest weitgehend. Sie hatten sich noch nie nahegestanden. „Aber ihr werdet zu mir kommen müssen. Ich bin bei den, äh, Herren der Unterwelt, und sie würden euch gern kennenlernen. Wie soll ich sagen, das sind Typen, die …“
„… von Dämonen besessen sind?“, rief Bianka aufgeregt und wurde dann unvermittelt ernst und düster. „Was machst du da? Sind sie diejenigen, die dich entführt haben?“ Ihr Ton war eiskalt.
„Nein! Nein. Sie sind die Guten.“
„Die Guten?“ Sie lachte. „Na ja, was auch immer sie sind, sie sind nicht gerade der Umgang, den du normalerweise pflegst. Außer, deine Persönlichkeit hat sich in den letzten Monaten drastisch verändert.“
Eigentlich nicht. „Also, kommt ihr?“
Kein Zögern. „Wir sind schon auf dem Weg, Kleines.“
14. KAPITEL
D ie Küche sah aus, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Hungrige Krieger sind wie Wilde, dachte Sabin. Bevor er nach unten gekommen war, hatte er jedem einzelnen eine SMS geschrieben – Götter, er liebte die Technik; er hatte sogar den technikfeindlichen Maddox ins einundzwanzigste Jahrhundert gebracht – und am Mittag ein Treffen einberufen, bei dem darüber diskutiert werden sollte, was die Jäger ihm über Misstrauen und das Internat für halb menschliche, halb unsterbliche Kinder verraten hatten. Außerdem stand die bevorstehende Ankunft von Gwens Schwestern auf der Agenda.
Die Schwestern. In dem Moment, als eine der Harpyien ans Telefon gegangen war, waren Gwen die Tränen in die Augen getreten und hatten das strahlende Gold in geschmolzene Goldmünzen verwandelt. Auf ihrem Gesicht hatten sich Erleichterung, Hoffnung und Traurigkeit gespiegelt. Sabin hatte gegen den Drang kämpfen müssen, zu ihr zu gehen, sie in die Arme zu schließen und sie zu trösten. Er hatte alles an Kriegerinstinkt aufbringen müssen, das er besaß, um sich nicht von der Stelle zu bewegen.
Er hoffte, dass der Rest des Tages einfacher würde. Mit einer schnellen Bewegung schloss er die Kühlschranktür. Sogleich umhüllte ihn warme Luft. Er sah Gwen an, die auf die marmorne Arbeitsfläche starrte. Oder auf die Spüle aus Edelstahl, das wusste er nicht sicher. Vielleicht fragte Gwen sich, warum eine so alte Burg an einigen Stellen modernisiert worden war und an anderen den Staub der Jahrtausende trug.
Als er vor einigen Monaten in Budapest angekommen war, hatte er sich dieselbe Frage gestellt. Seit seinem Einzug hatte er einige Verbesserungsmaßnahmen vorgenommen. Sein Plan war es, bis Ende des Jahres das gesamte Monstrum restauriert zu haben. Es war schon lustig. Da war er in der ganzen Welt umhergereist und hatte an vielen Orten seine Basislager, aber diese Burg war in Rekordzeit zu seinem Zuhause geworden.
„Leer“, verkündete er.
Sie sah ihm in die Augen, und es dauerte einen Moment, bis sich auch ihr Geist wieder im Hier und Jetzt befand. Als es so weit war, fuhr sie sich mit der Hand durch das immer noch feuchte Haar, als wäre sie verlegen. „Ich brauche kein
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