Die Herren der Unterwelt 05 - Schwarze Leidenschaft
wimmerte. Das konnte sie nicht noch einmal durchstehen. Sie würde aus purer Angst sterben.
„Wirf es einfach ins Zimmer“, fügte Aeron noch hinzu, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
Ich danke dir, du gnadenvolle Gottheit im Himmel. Als Olivia auf die Matratze sank, fiel die Tür ins Schloss.
„Er ist weg“, meinte Aeron leise. „Jetzt sind es nur noch wir zwei.“
Das Bett wackelte unter ihrem heftigen Zittern. „Lass mich nicht alleine. Bitte lass mich nicht alleine.“ Ihr Flehen führte ihr vor Augen, wie schwach sie in diesem Moment wirklich war, doch das kümmerte sie nicht. Sie brauchte ihn.
Aeron strich ihr das schweißnasse Haar aus dem Gesicht, und seine Berührung war genauso sanft wie seine Stimme. Das konnte nicht ihr Aeron sein, der so liebevoll zu ihr sprach und sie so zärtlich berührte. Die Verwandlung war fast zu groß, um es fassen zu können. Warum hatte er sich verändert? Warum behandelte er sie, quasi eine Fremde, so, wie er sonst nur seine Freunde behandelte?
„Vorhin wolltest du, dass ich dich festhalte“, sagte er. „Möchtest du das immer noch?“
„Ja.“ Oh ja. Eigentlich spielte der Grund für seine Veränderung auch gar keine Rolle. Er war hier, und er gab ihr, wonach sie sich schon so lange gesehnt hatte.
Ganz langsam legte er sich neben sie, sorgfältig darauf bedacht, ihr nicht durch eine ungeschickte Bewegung wehzutun.
Als er sich ausgestreckt hatte, rutschte sie langsam an ihn heran, bis ihr Kopf in der Kuhle seiner starken, warmen Schulter lag. Bei der Bewegung zuckten wieder lähmende Schmerzen durch ihren Körper, aber dass sie ihm jetzt so nah war und ihn endlich berührte, war jeden Funken davon wert. Deshalb war sie hergekommen.
Behutsam schlang er einen Arm um ihren unteren Rücken, dort, wo sie unverletzt war, und sein warmer Atem strich an ihrer Stirn entlang. „Warum heilen deine Wunden nicht, Olivia?
Sie liebte es, wenn er ihren Namen sagte. Wie ein Gebet und gleichzeitig ein Flehen, verpackt in dasselbe hübsche Päckchen. „Das habe ich dir schon gesagt. Ich bin gefallen. Ich bin jetzt durch und durch Mensch.“
„Durch und durch Mensch“, wiederholte er, und sie spürte, wie er sich verkrampfte. „Nein, das hast du mir so nicht gesagt. Ich hätte dir schon viel eher Medizin bringen können.“
In seiner Stimme schwang Schuldbewusstsein mit. Schuldbewusstsein und Furcht. Die Furcht verstand sie nicht, war jedoch zu erschöpft, um nachzuhaken. Und dann vergaß sie es. In der Mitte des Zimmers leuchtete ein bernsteinfarbenes Licht auf. Es wurde heller … und heller … so hell, dass sie blinzeln musste.
Ein Körper nahm Gestalt an. Ein großer, muskulöser Körper, der in eine weiße Robe gehüllt war, die ganz ähnlich aussah wie ihre. Als Nächstes erschienen helle Haare, die sich über breiten Schultern wellten. Sie sah Augen, schwarz wie flüssiger Onyx, und blasse, von einem feinen Goldschimmer überzogene Haut.
Sie wollte winken, brachte jedoch nur ein schwaches Lächeln zustande. Der liebe Lysander war endlich hier, um sie zu trösten – wenn auch nur als Produkt ihrer Einbildung. „Ich träume schon wieder. Aber diesmal ist es ein schöner Traum.“
„Schh, schh“, flüsterte Aeron. „Ich bin hier.“
„Genau wie ich.“ Lysander sah sich im Raum um und verzog angewidert die Lippen. „Leider ist das kein Traum.“ Wie immer sagte er die Wahrheit, und aus seiner Stimme klang dieselbe Aufrichtigkeit wie aus ihrer.
Geschah das wirklich? „Aber ich bin doch jetzt ein Mensch. Eigentlich sollte ich dich nicht sehen können.“ Im Prinzip verstieß es jetzt gegen die Regeln, wenn sie ihn sah. Außer ihre Gottheit wollte sie belohnen. Doch in Anbetracht dessen, dass sie gerade ihrem Geburtsrecht den Rücken gekehrt hatte, war das wenig wahrscheinlich.
Jetzt sah er ihr direkt in die Augen – geradewegs, so schien es, bis in ihre Seele. „Ich habe in deinem Namen den Rat angerufen. Sie haben einstimmig beschlossen, dir noch eine letzte Chance zu geben. Deshalb bist du im Augenblick zum Teil immer noch ein Engel und wirst es für die nächsten vierzehn Tage auch bleiben. Vierzehn Tage, in denen du vielleicht deine Meinung änderst und deinen rechtmäßigen Platz wieder einnimmst.“
Glühend heiß durchfuhr sie der Schreck. „Ich verstehe nicht.“ Noch nie zuvor hatte der Rat einem gefallenen Engel eine zweite Chance gegeben.
„Es gibt nichts zu verstehen“, meinte Aeron, der immer noch versuchte, sie zu beruhigen.
Weitere Kostenlose Bücher