Die Herren der Zeit
zwar nur ein einfacher Soldat sein, doch in den Augen dieser Bolg-Menschen war er die verkörperte Befehlsgewalt.
»Atash!«
Talmond hatte keine Wahl. Die vier Wachen hielten ihn sich mit ihren Speeren vom Leibe. Er selbst war unbewaffnet. Hilfesuchend sah er sich um, als erwarte er, dass seine Retter aus der vergangenen Nacht ihm auch diesmal aus dem Klemme helfen würden.
Aldo und seine Freunde standen keine fünf Schritte von ihm entfernt, doch sein Blick glitt über sie hinweg, als wäre überhaupt niemand da. Einen Augenblick lang glaubte der Ffolksmann, Talmond spiele ihnen etwas vor, doch dann wurde ihm klar, dass er sie wirklich nicht sah. Hier, auf dem großen Platz, wirkte Gilfalas’ Zauber wieder.
Geschlagen, aber nicht entmutigt, wandte Talmond sich ab. Mit hängenden Schultern ließ er sich von seiner Eskorte abführen. Gorbaz bog um die Ecke des Gebäudes, in die nächste Gasse hinein; die Wachen folgten mit ihrem Gefangenen, und im nächsten Augenblick waren sie alle aus dem Gesichtsfeld verschwunden.
Aldo starrte ihnen nach. Hatte er wirklich zugesehen, wie ihr Freund Gorbaz mit vier Stadtwachen Talmond von Thurion abführte wie einen geprügelten Hund, in den Kerker und den sicheren Tod – denn was sonst konnte dieser seltsame Aufruf bedeuten, verbunden mit einer Belohnung von dreißig Goldstücken? Nein, das konnte alles nicht wahr sein!
Gilfalas war schon unterwegs. Mit lautlosen Schritten folgte er der Rotte. Burin hielt sich dicht hinter ihm; seine Stiefel platschten in den Pfützen auf dem Pflaster. Aldo schüttelte noch einmal den Kopf. Dann lief er seinen Freunden nach, um sie nicht aus den Augen zu verlieren.
Doch noch ehe er auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, hörte er ein Klirren von Metall, ein paar dumpfe Schläge und ein Aufplatschen voraus. Das Schlimmste befürchtend, schlich er weiter und streckte den Kopf um die Ecke.
Die vier Stadtwachen wälzten sich, zu einem Haufen verknäult, auf dem Pflaster. Ihre Speere lagen zerbrochen in der Gosse. Gilfalas klopfte sich imaginären Staub von seiner Gewandung, während Burin grinsend daneben stand, und Gorbaz und Talmond klatschten einander in die Hand.
Noch während Aldo auf das Bild starrte, das sich ihm bot, nahmen seine scharfen Ohren erneut Schritte und Waffengeklirr wahr, das vom Markt herüberdrang.
»Da kommen noch mehr!«, rief er. »Wir müssen hier weg!«
»Vadite!«
Gorbaz hatte schon wieder den Befehl übernommen. Die anderen folgten ihm. Aldo hatte nur noch eines im Sinn: zu sehen, dass er hier wegkam. Die Gasse war verwinkelt; die ganze Stadt hatte etwas Labyrinthisches an sich. Es ging unter einem freitragenden Geschoss hindurch, das sich wie eine Brücke mit geschlossenem Oberbau von einer Straßenseite zur anderen hinzog, so tief, dass Gorbaz und Talmond sich ducken mussten, dann um eine weitere Ecke und noch eine. Aldo sah, dass zu ihrer Rechten wieder das Gebäude aufragte, von dem sie gekommen waren; alle Wege schienen darauf zuzuführen, und –
»Nein!« Das war Talmonds Stimme. »Da geht’s nicht weiter!«
Sie waren in eine Sackgasse gelaufen. Sie saßen in der Falle. Aldo fuhr herum. Von hinten nahten die Tritte der Verfolger. Seine Blicke suchten den Boden ab. Gab es nicht wenigstens einen Stock, mit dem er sich verteidigen konnte?
»Hier! Hier hoch!«
Die Stimme kam von oben. Aldo blickte auf. Im ersten Stock wurde ein Fenster aufgestoßen. Ein Seil schlängelte nach unten. Und dann beugte sich ein Gesicht zum Fenster heraus, das Gesicht einer Frau, das ihm irgendwie bekannt vorkam; aber es blieb keine Zeit, darüber nachzudenken.
Talmond war der Erste. Mit wenigen Handgriffen hatte er den Fenstersims erklommen und schwang sich hinein. Burin war der Nächste; er war ein erfahrener Kletterer und bewältigte die Wand mit einer Schnelligkeit, die man ihm, wenn man ihn nicht näher kannte, gar nicht zugetraut hätte. Gilfalas folgte ihm nach; er war so leicht, dass ihn die beiden anderen mühelos hochziehen konnten, ohne auch nur einmal zu pausieren.
»Jetzt du!«, knurrte Gorbaz. Aldo zögerte einen Lidschlag lang, da hatte ihn Gorbaz auch schon gepackt und schob ihn hoch. Er krabbelte nach oben, und dann ergriffen ihn Hände und zogen ihn in Sicherheit.
Nur Gorbaz verblieb unten. Er prüfte das Seil. Würde es sein Gewicht halten? Egal! Es gab keine Zeit mehr zu verlieren.
»Festhalten!«
Mit einem mächtigen Tritt stieß er sich vom Boden ab. Seine Hände packten das Seil. Burin und
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