Die Herren der Zeit
wandte sich um. Ringsum hob sich der Nebel. Vor ihnen senkte sich das Land, breitete sich aus zu sanft geschwungenen Hügeln, von Wäldern bestanden, von Bächen und Flüssen durchzogen. Ein grünes Land, unberührt, ohne den Schatten der dunklen Vergangenheit, der auf ihm gelastet hatte. Ein Land, das noch kein Ffolksmann zuvor betreten hatte.
Alderon nahm Yadiras Hand. »Komm!«, sagte er. »Heim nach Elderland.«
Hand in Hand gingen sie den alten Weg hinab, um das Land in Besitz zu nehmen.
K APITEL XVI
DER KREIS SCHLIESST SICH
Um das Ende dieser Geschichte zu verstehen, müssen wir noch einmal zurückgehen zu einem wunderschönen Tag im Spätwinter des Jahres 778 nach der Zeitrechnung des Ffolks, die so gut ist wie alle anderen Zeitrechnungen auch. Wir befinden uns im Kaminzimmer im Hause des Kustos, in unmittelbarer Nähe des Neuen Museums, wie der Bau des Ffolksmuseums seit nunmehr vierhundert Jahren im Ffolksmund genannt wurde. Der Duft von Sommerwein liegt noch im Raum, vermischt mit dem erkaltenden Geruch von Tabakrauch. Drei Gestalten sitzen über ein zerknittertes, fleckiges Stück Pergament gebeugt: ein junger Ffolksmann mit lockigem Haar, dem man sein hohes Amt als Kustos und Mitglied des Rates von Elderland gar nicht ansieht; ein feister, in die Jahre gekommener Handelsherr, der verlegen eine prächtige Meerschaumpfeife zwischen den Fingern dreht; und eine ältliche, dralle Ffolksfrau mit wogendem Busen, die ebenso neugierig wie missbilligend auf das Objekt der Begierde starrt …
»Es ist ein ziemlich komplizierter Satz«, erklärte Kim. »Aber es heißt so ungefähr: ›Fabian der Fünfte Alexis‹ – das ist sein Nachname oder so was –, ›durch die Gnade des Vaters und der Mutter und den Zuruf des Heeres der Menschen‹ … nein: ›durch die Ausrufung des Heeres Kaiser der Menschen und künftiger König, lädt aus Anlass seiner Krönung jedwedes Mitglied des Rates von Elderland am ersten Tag des Monats Imprimis in die Stadt Magna Aureolis‹ … äh … ›ein‹. Der Monat Imprimis«, fügte er hinzu, »das ist der erste nach dem Kalender der Menschen, aber der dritte nach unserem Kalender, der, den wir Lenzing nennen.«
»Aber – der erste Tag des Lenzmonds, das ist in genau vierzehn Tagen!«, sagte Frau Meta.
»Moment«, sagte Kim, »hier steht noch was.« Die kühne Handschrift war zweifellos die eines anderen Schreibers. Kim runzelte die Stirn. »Ich kann es nicht lesen«, sagte er dann. »Der Brief ist hier so fleckig, lieber Marti, und die Tinte so zerlaufen, dass es einfach nicht mehr zu entziffern ist.«
Mart Kreuchauff schaute schuldbewusst drein. »Aber immerhin«, sagte er, wie um sich zu rechtfertigen: »Eine Einladung zur Krönung des Königs nach Magna Aureolis!«
Kim zuckte die Achseln. »Ich glaube nicht, dass Herr Fabian bei dieser Zeremonie unsere Hilfe braucht.«
»Aber wieso überhaupt diese Krönung?«, wollte Frau Metaluna wissen. »Ich dachte, der Herr Fabian sei längst Kaiser?«
»Kaiser, ja«, erklärte Kim, da er der Frage nach dem historischen Protokoll kaum ausweichen konnte, »ausgerufen auf dem Schlachtfeld, wie es seit Talmond dem Mächtigen vor tausend Jahren keinem mehr erging. Doch der König wird nach alter Tradition am ersten Tag des Jahres gekrönt. Fabian mag zwar bereits als König herrschen, aber erst mit seiner Krönung wird er vor den Augen des Göttlichen Paares zum Vertreter der Völker der Mittelreiche.«
»Und darum ist es wichtig, dass einer vom Ffolk an dieser Zeremonie teilnimmt«, machte Mart Kreuchauff einen letzten Versuch. »Und das solltest du sein.«
»Aber wieso ich?« Kim war nicht überzeugt. »Nein, ich finde, wir sollten uns aus den Belangen des Großen Volkes heraushalten. Daraus ist noch nie etwas Gutes gekommen. Das war seit jeher unsere Art, und so soll es auch bleiben.«
»Willst du nicht wenigstens den Rat einberufen?«
»Was sollte das nützen?«, meinte Kim und zählte auf: »Juncker Rederich ist noch ein unmündiger Knabe, und Frau Marina, die Godin, ist außer Landes. Der Pater ist unabkömmlich, solange die Menschen noch unter den Folgen des Krieges leiden. Und der Bürgermeister von Aldswick wird erst in zwei Monaten zum Maifest gewählt …« Er warf dem Kaufherrn einen Blick zu, als wollte er sagen: Noch bist du nicht im Amt.
Marten Kreuchauff hob die Hände. »Ich gebe ja zu, es würde mich reizen. So als offizieller Vertreter von Elderland …« Dann wurde seine Miene übergangslos ernst. »Aber ich bin
Weitere Kostenlose Bücher