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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
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Wonnemond nennt, fand bei strahlendem Wetter auf dem Anger das Maifest statt. Es war wie in den Zeiten ›vor dem Krieg‹, wie man inzwischen sagte, abgesehen davon, dass die alte Linde, unter der sich Jahrhunderte lang die Brautleute das Jawort gegeben hatten, den Äxten der Bolgs zum Opfer gefallen war. Aber schon stand ein neuer Setzling an ihrer Stelle, und in seinem noch etwas spärlichen Schatten verkündete man das Ergebnis der Bürgermeisterwahlen. Marten Kreuchauff, der sich mit der Verteilung der Hilfsgüter noch mehr einen Namen gemacht hatte als in seiner Rolle als Held vom Haag, hatte keinen ernsthaften Gegenkandidaten zu fürchten gehabt und die Wahl haushoch gewonnen. Ob mit oder ohne die Stimme von Gutsfrau Metaluna Knopff, würde allzeit ihr Geheimnis bleiben. Und wie er da stand, in vollem Ornat, auch wenn die Amtskette ein wenig dünner war als jene alte, welche die Bolgs verschleppt hatten, so gab er in der Tat eine prächtige Figur ab.
    Die Ernte in diesem Jahr fiel besonders gut aus, und alles freute sich auf den großen Markt von Aldswick, an dem sich, wie in jedem Jahr zuvor, Jung und Alt auf dem Marktplatz und in den umliegenden Straßen und Gassen zum Handeln und Wandeln traf. Vor allem aber freute sich das Ffolk auf den lang ersehnten Austausch von Klatsch und Gerüchten jeglicher Art.
    Und diesmal gab es etwas Besonderes zu bereden. Denn zwei Tage vor Beginn des Marktes wurde die Frau des Bürgermeisters von Aldswick, Petronella Kreuchauff, von einem gesunden Sohn entbunden.
    Der Bürgermeister gab in der Schenke zum ›Goldenen Pflug‹ eine Runde des berühmten und nunmehr frisch gebrauten dunklen Starckbiers, und dies nicht nur für die betuchten und bedeutenden Bürger, die sich in der Schankstube niedergelassen hatten, sondern auch – entgegen aller Sitte und Tradition – für das gemeine Volk, das sich in der Schwemme versammelte.
    »Vader Odilon!«, rief er erfreut, als er die schmale Gestalt des Paters unter den Versammelten sah. »Wollt Ihr Euch nicht zu uns setzen und auf die Geburt meines Sohnes anstoßen?«
    »Anstoßen, gern!«, rief der Angesprochene zurück. »Aber nichts für ungut, Gevatter Kreuchauff, ich bleibe lieber hier unter meinesgleichen. Doch ich wünsche euch des Vaters Segen für das Kind. Wie soll es denn heißen?«
    »Nun«, gab Marten Kreuchauff zurück, »da meine liebe Frau, die in solchen Dingen immer Recht hat, meinte, Alexis klinge eher nach einem Namen für einen Esel, soll er Alderon heißen, nach dem Anführer der Ffolksleute, als sie über den Steig ins Elderland kamen!«
    »Alderon!«, riefen die Umstehenden. »Alderon soll leben!«
    Herr Kimberon, der in einer Ecke der Schankstube saß und sich seinem Bier widmete, lächelte in sich hinein.
    Ein paar Tage später fand in Aldswick eine weitere Versammlung statt. Sie war zwar nicht so zahlreich und so geschäftig wie die auf dem Markt, aber nicht minder hochkarätig besetzt.
    Gutsfrau Marina, die den alten Hof ihrer Familie in der Nähe von Winder wieder übernommen hatte, umso zugleich dem Steig und den alten Zwergenstraßen Richtung Süden nahe zu sein, war schon zwei Tage zuvor gekommen, um Frau Metaluna bei den Vorbereitungen zu helfen. Sosehr es Frau Meta hasste, sich in ihrem ureigenen Reich, der Küche, von irgendjemandem hineinreden zu lassen, so war sie doch insgeheim stolz, dass die Godin höchstselbst gekommen war, um sie in die Zutaten ihres vielgerühmten Eintopfes einzuweihen, von dem man sich Wunderdinge erzählte. Und so sah man bald die beiden Frauen die Köpfe zusammenstecken und über Geheimnisse plaudern, von denen nie ein Ffolksmann erfahren würde. Ffolksfrauen natürlich schon; man kann ja nicht gegenüber allen schweigen.
    Der Abend des 22. September war düster und regenschwanger. Kaum ein Stern war zu sehen, nur tiefhängendes, jagendes Gewölk. Im letzten Licht des Tages kamen zwei Gestalten den kiesbestreuten Weg entlang, der zu dem kleinen, zweistöckigen Haus führte, welches sich wie schutzbedürftig an den riesigen, massiven Bau des Ffolksmuseums lehnte.
    Der eine von ihnen war groß genug, ein Mensch zu sein. Er war schlank, doch breitschultrig; sein dunkelblondes Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel, wurde von einem schmalen goldenen Reif zusammengehalten. Über einer Brigantine aus genietetem Leder, die mit feinen, punzierten Ornamenten bedeckt war, trug er einen Überwurf aus festem Wolltuch, von einem so dunklen Rot, dass es fast wie Purpur wirkte, und Hemd

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