Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut W. Pesch
Vom Netzwerk:
finster, doch nicht stockdunkel. Licht, das von irgendwoher in den Gang fiel, brach sich an spiegelnden Flächen, fing sich hier und dort in Kristallen. Weiter voraus verlor sich der Blick, doch man konnte genug erkennen, um die Hand vor den Augen zu sehen und einen Fuß vor den anderen zu setzen. Der Gang war hoch genug, dass er sich nach oben im Dämmerlicht verlor, und als das Geräusch des Wasserfalls allmählich hinter ihnen verklang, stellte Kim fest, dass es auch nicht völlig still war hier unten im Berg: Es tropfte in unterirdischen Schächten, rieselte durch verborgene Rinnen, fiel mit klingendem Hall in klare, tiefe Teiche. Es war, als gingen sie nicht durch totes, starres Gestein, sondern durch ein lebendiges Wesen hindurch, das atmete und fühlte, träumte und …
    »Hört Ihr es auch?«, flüsterte Aldo. »Der Berg singt.«
    Ein auf- und abschwellender Ton, geboren aus dem Wind, der sich in den Gipfeln fing und durch Schroffen und Schlünde weitergeleitet wurde, hinabgesaugt durch Kamine und Schächte in die Tiefen des lebenden Gesteins. Doch selbst hier unten war ihm noch genug Kraft geblieben, um die Säulen aus Luft, die sich in den Hohlräumen bildeten, zum Schwingen zu bringen, und deren Vibration pflanzte sich fort durch Fels und Kristall, sang das grüne Lied des Kupfers, den roten Sang des Eisens, den reinen Ton des Silbers, den schweren Klang von Gold. Es war, als sänge die Erde mitsamt all ihren Schätzen selbst dieses Lied.
    »Schön«, grollte Gorbaz.
    Allmählich stieg der Gang wieder an, und es wurde heller. Dafür wurde das Gehen beschwerlicher, und Kim musste erneut auf den Boden achten, um nicht zu stolpern. In dem wachsenden Licht konnte man hier und da die Spuren der Meißel erkennen, mit denen dieser Gang in mühevoller Arbeit ausgehauen und erweitert worden war. Meister waren hier am Werk gewesen, die jeden Schlag mit Bedacht gesetzt hatten, um nur so viel zu zerstören, wie notwendig, und so viel zu erhalten, wie möglich war.
    Dies war das Werk von Zwergen, zweifellos, und doch spürte er auch ein Empfinden darin, das eine Saite in ihm selbst zum Klingen brachte. In dem regelmäßigen Muster, das jeder Veränderung des Felsgesteins folgte, lag etwas Gewachsenes, das die Kunst zur Natur erhob, von der Schönheit eines Blumenteppichs. Eine Zeile eines alten Gedichts ging ihm durch den Sinn:
    … von Blumen, die kein Elbe schuf …
    Er hatte nie gewusst, was es bedeuten sollte, doch jetzt war es ihm plötzlich klar: Dies waren die Blumen der Zwerge, und in ihnen lag die Schönheit aller geschaffenen Dinge.
    Plötzlich überfiel es ihn heiß und kalt.
    »Schön.«
    Der Klang des Wortes war ihm noch im Ohr.
    Hatten Bolgs einen Sinn für Schönheit?
    Licht umflutete ihn. Er war so sehr in Gedanken versunken gewesen, dass er gar nicht gemerkt hatte, wie sie plötzlich ins Freie getreten waren. Geblendet schloss er die Augen.
    Als er sie wieder öffnete, blickte er hinaus auf ein Tal des Frühlings.
    Licht lag über dem Land. Unter dem strahlend blauen Himmel, getupft mit weißen Wolken, lag eine weite Ebene, die von einem Kamm schneebedeckter Berge zum anderen reichte. Doch kein Schnee hatte je dieses Tal berührt. Zwischen blühenden Apfelhainen zogen sich sanft geschwungene Wege vorbei an murmelnden Bächen. Vögel sangen in den Zweigen. In den Teichen, die zwischen den Bäumen glitzerten, wuchsen Lilien zwischen dem Uferschilf. Das Gras war grüner hier und die Luft klarer, die Blumen leuchtender als andernorts.
    Kim hatte keine Worte mehr. Er blickte sich zu seinen Gefährten um. Auch dem Bolg hatte es die Sprache verschlagen; Gorbaz’ dunkle Augen, in denen sich das Licht spiegelte, waren noch unergründlicher als zuvor. Aldo stand da mit offenem Mund, doch er fasste sich als Erster: »Ist das hier die Überwelt?«
    Fabian wandte sich um. Auch in seinen Augen stand ein Glanz, der vorher nicht da gewesen war. War es nur der Widerschein des Lichts, oder lag in diesem Land etwas anderes, das den Blick freier machte, die Gedanken klarer?
    »Die Überwelt? Nein, für diese Zeit ist sie nicht mehr als eine Legende. Dies ist Naith-dulin, das Verborgene Tal. Aber in jedem Teil des Elbentums lebt ein wenig vom Licht der Überwelt, und dies ist, was ihr verspürt.«
    »Willst du mir nicht endlich erklären, was … was das alles hier zu bedeuten hat?«, fragte Kim mit einer Handbewegung, die das Tal vor ihnen und alles ringsum umfasste.
    »Bald«, sagte Fabian. »Bald wird dir eine

Weitere Kostenlose Bücher