Die Herren der Zeit
seinen Rucksack getan hatten. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel war es ihm plötzlich in den Sinn gekommen. Zwar mochten auch die anderen ähnlich ausgerüstet sein, doch er war froh gewesen, endlich einmal selbst etwas zur Lösung des Problems beitragen zu können. Auch wenn er nicht die geringste Ahnung hatte, was hier vor sich ging.
Und Ithúriëls nächste Worte, ehe sie wieder in das feuchte, enge Loch abtauchte, hatten seine Verwirrung noch vergrößert:
»Ich hoffe, er weiß, was er damit anzufangen hat.«
Jemand, der nicht wusste, was man mit einem Seil anfing? Was hatte das alles zu bedeuten?
Gilfalas und Burin warfen sich einen Blick zu, in dem sich dieselbe Entgeisterung spiegelte, doch es lag noch etwas mehr darin – kein Wissen, allenfalls der Hauch einer Ahnung, eines unglaublichen Verdachts.
Ithúriëls Beine, die aus der Öffnung ragten, zuckten. »Zieht!«, kam ihre gedämpfte Stimme.
Gilfalas packte zu, und Burin ebenfalls. Gemeinsam zogen sie das schlanke Elbenmädchen ins Freie. Ithúriël hielt krampfhaft das Ende des Seils gepackt, so fest, dass es ihr in die Finger schnitt. Gorbaz nahm es ihr ab. Hand über Hand holte er das Seil ein, bis das, was am anderen Ende hing, zum Vorschein kam und durch den engen, feuchten Kanal ins Freie glitt.
Mit einer Mischung aus Erleichterung und Entsetzen starrte Aldo auf das, was da schleimig und zuckend auf dem Boden lag. Es war ein Geschöpf, das niemals dazu gedacht gewesen war, geboren zu werden.
Es war hager, so ausgezehrt, dass es nur aus Haut und Knochen zu bestehen schien. Außerdem war es nackt; seine Haut, soweit nicht Schlamm sie bedeckte, war gräulichweiß, so als hätte es nie die Sonne gesehen. Die Augen, die es fest geschlossen hielt, waren unnatürlich groß in dem ausgemergelten Gesicht. Die einzige Farbe, die der kleine Körper aufwies, kam von den Kiemen, die bläulichrot von seinem gedrungenen Hals abstachen.
Ithúriël war bei ihm, strich ihm über den Kopf. »Hab keine Angst«, sagte sie, »jetzt wird alles gut.«
Das Wesen öffnete die Augen; seine Pupillen waren winzige Punkte, wie unter grellem Licht, obwohl das Glitzern in der Luft zu einem matten Funkeln abgesunken war.
Aus einer Kehle, die das Sprechen längst verlernt hatte, wenn sie jemals dazu fähig gewesen war, entrang sich ein würgender Laut:
»Gwr … gwrg …«
»Gwrgi?«
Burin und Gilfalas hatten es gemeinsam gerufen. Jetzt starrten sie einander an und dann hinunter auf das Wesen, das sich vor ihnen am Boden wand.
Aldo traute seinen Ohren nicht. Dies sollte Gwrgi sein, der geheimnisvolle Begleiter seines Herrn Kimberon aus den Sümpfen, der mächtige Schamane? Dieses Wesen, von dem er nicht wusste, ob er es abstoßend oder nur bemitleidenswert finden sollte, dieses unfertige … Ding?
Gilfalas fand als Erster die Sprache wieder. »Das glaube ich nicht«, sagte er. »Das kann nicht sein. Der Gwrgi, den wir kannten, war ein Wesen von unendlicher Vielfalt, ein Weiser und ein Schelm zugleich, unser Freund …«
»… und der Träger eines der Hohen Ringe des Zwergengeschlechts«, fügte Burins grollende Stimme hinzu.
Ithúriël sah zu ihnen auf. »Das hier ist nicht Gwrgi«, sagte sie traurig. »Nicht der, den ihr kennt. Das ist das, was aus ihm geworden wäre, hätte man ihn von Anfang an gefangen gehalten, in einem Gefängnis aus Stein, ohne Licht, ohne Hoffnung. Es wundert mich, dass er noch lebt. Aber wir können ihn nicht hierlassen. Wir waren dazu bestimmt, ihn zu finden, und jetzt gehört er zu uns.«
Das Wesen auf dem Boden sah sie an mit völligem Unbegreifen, aber mit einer Ergebenheit, die sich nur als hündisch bezeichnen ließ.
Aldo seufzte. Den Esel haben wir verloren, dachte er, dafür haben wir nun das hier.
»Können nicht bleiben«, kam Gorbaz’ tiefe Stimme aus dem Hintergrund. »Wasser kommt.«
Da hörten sie es auch. Diesmal war es kein Plätschern von einem Rinnsal, das am Grunde einer Höhle entlangfloss, und kein Gurgeln eines unterirdischen Baches, der sich durch Stollen und Spalten seinen Weg suchte. Diesmal war es eine weiße Wasserwand, die ungebremst auf sie zuraste.
»Weg hier!«
Sie begannen zu laufen. Gwrgi – sie sollten sich wohl besser daran gewöhnen, ihn bei diesem Namen zu nennen – raffte sich auf und taumelte ein paar Schritte, doch die Beine wollten ihn nicht tragen. Ithúriël wandte sich um, um ihm zu helfen, doch Burin hatte das Geschöpf schon gepackt und zerrte es mit sich. »Lauf!«, rief er. »Mach,
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