Die Herren der Zeit
eingelullt, dass er nichts gehört hatte. Von voraus kamen Geräusche. Schritte von genagelten Stiefeln auf felsigem Boden, das Knarren von Rädern, das Klirren von Eisen. Bolgs!
Kim blickte sich um. Die Felswand über ihnen bot kaum einen Halt, und so schnell, wie es nötig gewesen wäre, war sie nicht zu erklimmen. Unter ihnen, auf der anderen Seite, schäumte und toste das Wasser, und selbst wenn sie sich den Abhang hinunterfallen ließen, würde man sie sofort sehen.
»Dorthin!«, sagte Fabian. »In den Schatten!«
Es war nur eine flache Nische, ein halb mit Geröll gefüllter Graben zwischen Weg und Felswand, der keinen wirklichen Sichtschutz bot. Aber vielleicht, wenn sie sich ganz still verhielten und niemand in ihre Richtung sah, konnten sie auf diese Weise den Blicken der Bolgs entgehen. Es war nur eine schwache Hoffnung, aber besser als gar nichts.
Ein Trupp von Bolgs führte den Zug an. Ihr Anführer war der Einzige, der einen Helm und eine Art Rüstung trug; die anderen waren nur in Leder gekleidet, mit schweren Stiefeln an den Füßen. Sie redeten untereinander mit rauen Stimmen und schienen sich gar nicht um die Umgebung zu kümmern. Wieder wurde es Kim auf eigenartige Weise bewusst, wie wenig die Bolgs dieser Zeit mit den hochgezüchteten Kampfmaschinen gemein hatten, die er in der Schlacht um Elderland kennen gelernt hatte. Mit anderer Kleidung, in anderer Umgebung, hätte dieses Wesen vor ihm sich nur geringfügig von einem stämmigen, ein wenig stupiden Menschen unterschieden. Selbst die stumpfbraune Haut der Bolg-Männer ähnelte der, wie Kim sie von den Menschen des Südens kannte, denen er während seines Aufenthalts an der Universität begegnet war und die er dort schätzen gelernt hatte, ebenso wie andere Menschen auch.
Nur der stumpfe Glanz in den Augen des Wesens, in denen sämtliches Mitgefühl abgetötet zu sein schien, verriet, dass es sich bei ihm nicht um einen gewöhnlichen Menschen handelte. Der einzige Wille, der sich in ihnen zeigte, war der Wille seiner dunklen Herren. Und so sehr er in allen anderen Dingen auch einem Menschen ähneln mochte, machte ihn dies doch zu einem Geschöpf, dem nichts Menschliches mehr anhaftete.
Oder etwa nicht? Kim musste an Gorbaz denken, den er in den Sümpfen kennen gelernt hatte. Der hatte durchaus einen eigenen Willen bewiesen. Und Kim hatte plötzlich so seine Zweifel.
Bei den Wesen, die den Bolgs folgten, war jeder Zweifel ausgeschlossen. Das waren Menschen.
Die meisten trugen einfache Kittel, mehr oder weniger zerlumpt. Viele von ihnen gingen barfuß, manche in groben Sandalen oder in Lumpen, die sie sich um die Füße gewickelt hatten. Einige waren in Eisen gekettet; bei anderen hatte man dies offensichtlich nicht für nötig gehalten. Ein paar von ihnen hatte man wie Ochsen ins Geschirr gespannt; sie zogen schwere Karren mit eisenbeschlagenen Rädern, die quietschend über den unebenen Weg holperten. Die Wagen waren mit Proviant und Gerätschaften voll geladen. Wenn sie an einem Stein oder in einer Vertiefung ins Stocken gerieten, knallten die Peitschen der Bolg-Aufseher, und die Menschen legten sich mit verdoppelter Anstrengung ins Geschirr, und andere halfen mit, soweit es ihre Kräfte zuließen.
Mit den Kräften war es jedoch nicht weit her. Alle, die dem traurigen Sklavenzug angehörten, waren hohlwangig und mager, und sie hatten Mühe, überhaupt auf den Beinen zu bleiben. So schleppten sie sich vorbei, bis auch der letzte Wagen an dem Versteck vorübergerumpelt war.
»Wir müssen …«, flüsterte Kim.
»Psst!«, zischte Fabian.
Doch zu spät.
Einer der beiden Aufseher, die das Ende des Zuges bildeten, wandte den Blick. Sein rechtes Auge war durch eine grässliche Narbe entstellt, und auch das linke schien nicht mehr besonders gut zu sehen, denn er erkannte nicht, dass die beiden, die da im Graben hockten, offenbar nicht zu den Sklaven gehörten.
»Auf, faules Pack!« Seine Peitsche verfehlte Fabian nur um Haaresbreite. »Keine Müdigkeit vortäuschen! Marsch, Marsch!«
»Komm, schnell«, sagte Kim. »Bevor die anderen Bolgs was merken.«
Vor ihnen kam der Zug ins Stocken. Ein Rad des Wagens hatte sich zwischen zwei Steinen verkeilt. Kim sprang hinzu und griff in die Speichen, während Fabian sich gegen den Kasten stemmte. Der Wagen machte einen Satz und rumpelte weiter.
Von hinten kamen die beiden Bolg-Aufseher heran, doch Fabian hatte sich an den Wagen gehalten und benutzte ihn als Deckung. Kim wagte es nicht,
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