Die Herren der Zeit
Hunderten oder gar Tausenden von Kriegersklaven eine Behausung bot, war ein wahnwitziges Unterfangen. Denn jedes Werkzeug, jede Nahrung, selbst ein großer Teil des Bauholzes musste mühsam auf den endlosen Straßen herbeigeschafft werden, mit Wagen und Karren oder auf dem Rücken von Trägern. Was zog die Dunkelelben hierher in diese nördliche Öde? War es nur die Sicherheit, die dieser Ort bot, umgeben von weitem, schroffem Land, das jede Armee erschöpfte, ehe sie auch nur ihr Ziel erreichte, und geschützt von schier unübersteigbaren Bergen? Oder war es mehr: die alte Magie, die an diesem Ort herrschte, wie sie immer hier gewesen war und immer sein würde, an dieser Schnittstelle zwischen den Welten, an der sich alle Zeiten trafen.
»Zarakthrôr«, sagte er. Es klang wie ein Krächzen. »Wir müssen … nach Zarakthrôr. Wo sich … die Welten …«
»Keinen Zweck«, meinte Fabian. Auch seine Kehle war rau. »In dieser Zeit herrschen dort die Dunkelelben. Und züchten Bolgs … und Schlimmeres.«
Doch Kim ließ sich nicht beirren. »Zarakthrôr … In der Tiefe … Wasser …«
Er begann zu laufen. Vor ihm senkte sich der Boden: ein Einschnitt, der tief in das verkarstete Land hineinreichte. Er folgte ihm, hinab, immer nur hinab.
»Kim … wohin …?«
Aber Kim hörte nicht. In der Tiefe gab es Wasser; das hatten die Schatten ihm gesagt. Er musste nur tief genug hinab, dann würde er es finden.
»Kim!« Fabian kam ihm nach; Steine polterten unter seinen Stiefeln und kollerten die Schlucht hinab. Aber Kim achtete nicht darauf. Rechts und links schloss der hoch aufragende schwarze Fels einen Teil des Himmels aus, und in der tieferen Schwärze am Grund war kaum noch etwas zu erkennen. Doch Kim setzte seinen Fuß mit untrüglicher Sicherheit. Er folgte den Schatten.
Sie umflossen ihn wie ein Strom, der einen Fels umspült. Sie wisperten ihm zu in einer unhörbaren Sprache, die keine Worte kannte. Sie folgten dem Weg des Wassers, den es nimmt, wenn es sich in der Morgenkühle aus Nacht und Luft bildet, zu Tropfen gerinnt, die sich in Trichtern sammeln, sich an Spitzen formen und, wenn der Sog der Tiefe zu groß wird, von unten angezogen werden und fallen …
Drip … drip … drip …
Die spitzen Ohren des Ffolksmanns, übernatürlich geschärft durch die Dunkelheit und die Stille, hörten das Tropfen des Wassers im Gestein. Wasser war Leben. Es war überall rings um ihn her. Man musste es nur finden.
Drip … drip …
Pling!
Unter einem überhängenden Fels am Grunde der Schlucht hatte sich in einer Grotte ein Tümpel gebildet, in den es von einer Felsnase hineintropfte. Es war nur wenig Wasser, das sich dort gesammelt hatte, aber für einen Verdurstenden war es ein Wunder.
Kim ließ die Schatten trinken, dann trank auch er.
Das Wasser schmeckte ölig und ein wenig bitter, mit einem metallenen Beigeschmack, doch für Kim war es weit köstlicher als Sommerwein.
Eine Gestalt verdunkelte den Eingang der Grotte. Fabians Gegenwart war mehr zu ahnen als zu sehen.
»Komm«, sagte Kim. »Trink. Es ist genug für uns beide.«
»Wasser?« Staunen lag in Fabians Stimme. Er beugte sich vor und schöpfte mit der Hand. »Wasser!«
Es waren nur ein paar Hand voll, aber es reichte, um den augenblicklichen Durst zu stillen. Selbst wenn sie Flaschen gehabt hätten, um es abzufüllen, wäre es dafür nicht genug gewesen. Als der Spiegel der Pfütze so weit gesunken war, dass sich das Wasser beim besten Willen nicht mehr schöpfen ließ, tauchte Kim den Stoff seines Ärmels hinein und wischte sich mit dem restlichen Nass Stirn und Wangen ab. Fabian tat es ihm gleich.
»Wie hast du das nur gefunden?«, fragte er, immer noch staunend. »Ich hätte das hier nie entdeckt.«
Kim zögerte. Sollte er Fabian von den Schatten erzählen, die ihn auf die Spur geführt hatten? Aber er wusste selbst nicht so recht, was er ihm hätte sagen sollen. »Ich habe es gehört«, erklärte er schließlich. »Meine Ohren sind schärfer als deine.«
Wenn Fabian dieser Erklärung nicht glaubte, so war es in der Dunkelheit nicht zu erkennen.
»Wohin gehen wir jetzt?«
Fabian blickte prüfend zum Himmel auf. Was davon zwischen den Felswänden zu erkennen war, war von einem einheitlichen, diffusen Grau. Es ließ sich nicht einmal bestimmen, wo die Sonne stand.
»Ich nehme an«, sagte er, »dass diese Talschlucht in etwa nach Süden führt. Also folgen wir ihr – oder hast du eine bessere Idee?«
Kim zuckte die Schultern; dann fiel ihm
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