Die Herren der Zeit
aufzublicken. Geduckt mischte er sich unter die Menschen, die mit schleppenden Schritten dem letzten Wagen folgten.
»Macht voran, ihr Lumpen!«
Eine Peitsche knallte.
Nun ging es doch in Richtung Zarakthrôr, ob sie wollten oder nicht.
Kim achtete nur auf seine Füße, um nicht zu stolpern. Jetzt, wo er gezwungen war, zu laufen, merkte er auf einmal wieder, wie müde er war. Er biss die Zähne zusammen und bemühte sich, nicht mehr zu denken und nur noch einen Schritt vor den anderen zu setzen.
Auch der Durst machte sich wieder bemerkbar. Es war lange her, dass er etwas getrunken hatte, und das waren nur ein paar Hand voll Wasser gewesen. Seine Kehle war wie ausgedörrt, und der Staub, den die Karrenräder und die Füße der vor ihm Gehenden aufwirbelten, legte sich wie Blei auf seine Lungen. Er musste seine ganze Willenskraft darauf richten, Luft zu holen und seine Beine dazu zu bringen, sich zu bewegen, und er wagte nicht daran zu denken, zu welchem bösen Ende er sich quälte und das alles erduldete. Es bestand keine Hoffnung, sich unbemerkt davonzustehlen. Er musste warten, bis sich eine Gelegenheit bot. Fabian würde schon etwas einfallen. Und wenn nicht … Wenn nicht, dann nicht.
Er erwachte erst aus seinem dumpfen Dösen, als ihn jemand von der Seite ansprach.
»Du? Ich dachte, du wärest tot?«
Er wandte den Kopf. Das Gesicht neben ihm kam ihm bekannt vor: ein junges, blasses Gesicht mit hohlen Wangen und tiefliegenden Augen, umgeben von strähnigem, weizenhellem Haar.
»Jadi?«
Es war das Mädchen, das er in der schwarzen Feste, bei den Steinklopfern, kennen gelernt und dem er damals von seinem Essen abgegeben hatte. Die Kleine sah noch viel erschöpfter und abgezehrter aus, als er sie in Erinnerung hatte. Kein Wunder, sie musste den ganzen Tag marschiert sein.
»Hhh –« Seine Stimme versagte. »Hast du was zu trinken?«
Sie sah ihn scharf von der Seite an, dann nestelte sie an ihrem Gürtel und reichte ihm eine lederne Flasche. Gierig setzte er sie an die Lippen. Das Wasser war lauwarm und abgestanden, aber es war trinkbar, und es tat gut.
Er gab ihr die Flasche zurück, bevor er der Versuchung erliegen konnte, sie bis auf den letzten Tropfen zu leeren.
»Wo kommst du her?«, fragte sie.
Kim antwortete nicht. Aus den Augenwinkeln sah er, dass sie inzwischen den Einschnitt des Seitentales erreicht hatten, aus dem Fabian und er gekommen waren. Schatten flossen darüber hinweg, doch er schien der Einzige zu sein, der sie bemerkte. Der Zug der Menschen trottete daran vorbei, und keiner warf einen Blick zur Seite.
»Weißt du, wo man euch hinbringt?«, fragte er zurück.
Sie schüttelte den Kopf. »Der Ort hat keinen Namen«, sagte sie. »Sie haben uns gesagt, zur Zucht. Was heißt das, Zucht? Ich habe gehört, dass die Bolgs von da kommen. Ob sie dort Menschen zu Bolgs machen, was meinst du?« Der Blick in ihren Augen war unendlich müde. »Ich habe solche Angst …«
»Ruhe!« Eine Peitschenschnur zuckte heran, zog eine glühende Spur über Kims und Jadis Rücken. »Hört auf zu schwätzen!«
Das Mädchen taumelte und wäre gestürzt, hätte Kim nicht rasch zugegriffen und es am Arm gefasst. Er wandte sich um. Der Bolg-Aufseher mit der Narbe stand über ihm; er hatte den Arm gehoben, um ein weiteres Mal zuzuschlagen. Der Blick aus Kims Augen war von einer solchen Wut, dass der Bolg die Peitsche sinken ließ.
»Weiter«, knurrte er und stieß die beiden grob an. »Weitergehen!«
Das folgende Wegstück war besonders tückisch. Kim erinnerte sich, wie er einen Blick darauf geworfen hatte, als Fabian und er vor der Entscheidung gestanden hatten, in welche Richtung sie gehen sollten. Der Weg war übersät von größeren und kleineren Steinen, und hier und da war er durch Felsabbrüche so schmal, dass zwar ein Einzelner zu Fuß ihn ohne weiteres passieren konnte, aber für die Wagen war es ein schier unmögliches Unterfangen.
Kim blickte auf, als er ein Stück weiter voraus einen Tumult wahrnahm. Er sah, gerade noch, wie einer der Karren mit dem Hinterrad über die Kante glitt. In einer Staubwolke rutschte einer der Männer, die ihn geschoben hatten, den Abhang hinab. Sein Schrei hing noch in der Luft, als der Wildbach ihn packte. Verzweifelt versuchte er sich an den Steinen festzukrallen, aber die Strömung war stärker und riss den Unglücklichen mit sich zu Tal.
Kim wandte die Augen ab. Der Karren hing noch schräg in der Wand. Die Ladung war verrutscht; unter den Planen blinkte es
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