Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
Ansprüche verzichtet hatten. Die Franzosen dagegen hielten die amerikanische Entscheidung einfach für raffgierig, überhaupt Schulden einzutreiben, deren Liquidation 62 Jahre dauern würde.
Am 11. Juli gab es einen dramatischen Protest. 20 000 mutilés – verstümmelte Kriegsveteranen –, die Beinamputierten in Rollstühlen, die Blinden von Krankenschwestern geführt, marschierten in stillem Protest die Champs-Élysées hinauf zur Place d’Iéna vor die amerikanische Botschaft, wo sie am Fuß des Reiterstandbilds George Washingtons einen Kranz niederlegten.
Am 19. Juli, in der Nacht vor Strongs Ankunft in Paris, wurde ein Bus mit amerikanischen Touristen am Montmartre vom Pöbel attackiert. Zwei Tage später umzingelten Hunderte Demonstranten einige Paris-bei-Nacht-Touristenbusse in der Nähe der Oper und hielten sie davon ab, die Besucher durch die schmutzigeren Teile der Stadt zu fahren. Schon bald versammelten sich einige Tausend Einheimische, begannen abfällige Bemerkungen zu machen und die Touristen zu verspotten. Einige Tage später reagierte eine andere Gruppe amerikanischer Touristen darauf, indem sie die Trennwände ihres Eisenbahnwaggons mit französischen Geldscheinen tapezierte und sich ostentativ mit 50- und 100-Francs-Noten Zigarren anzündete, um ihre Verachtung für die Währung zu demonstrieren.
Die Beziehungen zwischen den amerikanischen Besuchern und ihren widerwilligen Gastgebern hatten sich so sehr verschlechtert, dass die New York World sich dazu berufen fühlte, den Touristen, die in diesem Sommer eine Reise nach Frankreich planten, die folgenden Verhaltensregeln mit auf den Weg zu geben:
Prahlen Sie in Cafés nicht damit, die amerikanische Währung sei das einzige wirklich ehrliche Geld. Sie ist es nicht. Außerdem sind solche Ausbrüche von finanziellem Patriotismus ärgerlich für Menschen, die die Jahre von 1914 bis 1916 nicht damit verbracht haben, das Geld der Welt anzusammeln, indem sie anderen Nationen, die im Krieg waren, Munition, Baumwolle und Weizen verkauften. …
Vertrauen Sie den anderen Passagieren in der Eisenbahn nicht an, Amerika sei der großzügigste aller Gläubiger, weil Amerika den Teil der Schulden erlassen hat, den ohnehin niemand hätte eintreiben können. Sprechen Sie stattdessen lieber über unsere Leistungen beim Tennis, beim Golf oder über die Prohibition. Das kommt besser an.
Vor diesem Hintergrund besuchte Moreau Strong in dessen Hotel in Versailles. Sie sollten sich in den folgenden Tagen noch mehrmals treffen – immer in Strongs Hotel, weil er nicht dabei gesehen werden wollte, wie er die Banque de France besuchte. Er bat sogar darum, die Tatsache geheim zu halten, dass diese Treffen überhaupt stattfanden. In den USA gab es heftigen politischen Widerstand gegen jede Einmischung der Federal Reserve in die Finanzen Frankreichs: »Fremdenfeindliche Kundgebungen in Paris«, erklärte er, »haben in der amerikanischen Öffentlichkeit »den schlechtesten möglichen Eindruck hinterlassen.«
Die beiden Männer kamen gut miteinander aus. Moreau fand Strong »freundlich, aber zurückhaltend.« Dennoch ließ Strong nicht über einen Kredit mit sich reden. Einerseits wäre dazu ein Signal erforderlich, dass die französische Regierung die Unabhängigkeit der Banque respektierte. Andererseits müsste die Nationalversammlung das Abkommen über die Kriegsschulden vom April ratifizieren.
Am Vormittag des 29. Juli war Norman an der Reihe, sich mit der neuen Führung der Banque zu treffen. Er suchte Moreau in dessen Büro auf der ersten Etage des Hôtel du Toulouse auf. Die Suite des Präsidenten in der Banque unterschied sich stark von der klassischen Einfachheit seines eigenen Büros in der Threadneedle Street. Die Räume waren früher die Privatgemächer der Prinzessin de Lamball gewesen, der Enkelin des Grafen von Toulouse, einer engen Vertrauten von Marie Antoinette, die hier oft die Königin empfangen hatte. 31 Der Boden war bedeckt von einem Teppich mit Blütenmusterdekor, vom Schreibtisch des Präsidenten aus blickte man auf ein Gemälde von Boucher, im Vorzimmer prangte eine wunderschöne Parkszene von Fragonard.
Das Treffen der beiden Präsidenten – Norman groß gewachsen, elegant und kosmopolitisch, mit seinem getrimmten Bart und seiner gut geschnittenen, dandyhaften Kleidung; Moreau klein, untersetzt, glatzköpfig mit dem Aussehen eines Provinznotars aus einem Roman von Flaubert – begann gleich auf dem falschen Fuß. Dieses eine Mal schien
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