Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
höchst einflussreichen Monografie Deflation in der Praxis geweckt. Wie Keynes in Ein Traktat über Währungsreform argumentierte er darin, Versuche, die Preise nach unten zu bringen, verursachten exzessive wirtschaftliche und gesellschaftliche Kosten. Als man ihm eine Stellung in der Banque anbot, zögerte er zunächst lange, die Bequemlichkeit des akademischen Lebens zu verlassen. Er wurde erst überredet, als Caillaux bei ihrem ersten Gespräch ausrief: »Aber Sie werden nicht für den Rest Ihres Lebens Grammatiker bleiben!«
Pierre Quesnay, ein ehemaliger Student Rists, war erst 31 Jahre alt. Nach der Entlassung aus der Armee hatte er sich dem Finanzdienst des Völkerbunds angeschlossen. Moreau gab ihm den Posten des Stabschefs und ernannte ihn einen Monat später zum Direktor für ökonomische Forschung der Banque de France. 33
Im Herbst wurde der Geldzufluss zu einem Strom. Als er den Franc immer weiter steigen ließ und die Wechselkurs-Marke von 30 Francs je Dollar durchbrochen wurde, machten sich Rist und Quesnay allmählich Sorgen, Frankreich könnte den Fehler Großbritanniens wiederholen: ein zu hoher Wechselkurs, der Exporte chronisch überteuerte und sie ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßen ließ. Mitte Dezember, als der Franc die Marke von 25 erreicht hatte, begannen Moreaus zwei Kollegen die Bank zu Interventionen zu drängen, um den Anstieg zu bremsen, weil sie entschlossen waren zu verhindern, dass die französische Wirtschaft in eine ähnliche Stagnation rutschte wie die britische. Einmal drohten sie sogar mit Rücktritt, sollte Moreau den Premierminister nicht von diesen Maßnahmen überzeugen können.
Während Quesnay und Rist die intellektuelle Kraft der Banque repräsentierten, war Moreau der politische Stratege. Er verstand, dass die Wahl des Wechselkurses letztlich darüber entschied, wie die finanziellen Lasten des Kriegs verteilt wurden. Es war Maynard Keynes, der 1923 im Traktat als erster die politische Dimension der Wechselkurspolitik artikulierte: »Das Niveau des Franc wird nicht durch die Spekulation oder die Handelsbilanz bestimmt werden, ja nicht einmal durch den Ausgang des Abenteuers im Ruhrgebiet, sondern von dem Anteil seines verdienten Einkommens, den sich der französische Steuerzahler abnehmen lassen wird, um die Ansprüche des französischen Rentiers zu erfüllen.« Je höher die Banque den Franc steigen ließ, desto höher wäre der Wert der Regierungsanleihen, desto besser für den französischen Rentier und desto schlechter für den Steuerzahler. Wie Moreau es ausdrückte, war die Festlegung des Wechselkurses eine Frage des Gleichgewichts zwischen »den Opfern, die den verschiedenen sozialen Schichten in der Bevölkerung abverlangt werden.«
Nach dem Krieg stand jedes europäische Land vor den gleichen Problemen. Großbritannien hatte das eine Extrem gewählt, den größten Teil der Lasten den Steuerzahlern aufgebürdet und die Sparer geschont. Deutschland hatte sich für das entgegengesetzte Extrem entschieden: für den Weg der krankhaften Inflation, die die inländischen Schulden um den Preis ausgelöscht hatte, die Ersparnisse der Mittelschicht zu vernichten. Moreau wollte einen Mittelweg finden.
Es war Poincarés Naturell, die ihn die Vorteile seines Rufs genießen ließen, die Währung gestärkt zu haben und den Franc weiter steigen zu lassen. Verständlicherweise wollte er nicht als der Mann in die Geschichte eingehen, der einem 80-prozentigen Wertverlust der Landeswährung formal zugestimmt hatte. Aber er wusste auch, dass er riskierte, die Wirtschaft in die Rezession zu treiben, wenn er den Franc zu hoch steigen ließ. Wie viele Menschen mit einem genialen Sinn für Details war Poincaré von Natur aus entscheidungsschwach und schwankend; an einem Tag war er für eine Begrenzung des Anstiegs, am nächsten Tag war er dagegen.
Das Prinzip des Widerstands gegen eine Begrenzung der Franc-Aufwertung kam nicht vom Premierminister, sondern aus Moreaus eigener Institution. Eine Gruppe innerhalb des Direktorats der Banque, angeführt von den beiden mächtigsten Regenten Baron Édouard de Rothschild und Francois de Wedel, sah im Niedergang des Franc den Niedergang Frankreichs. Als echte Sturköpfe hielten sie es für ihre moralische Pflicht, die Interessen all derjenigen zu verteidigen, die während des Kriegs in französische Anleihen investiert hatten.
Niemand symbolisierte die Macht der deux cents familles und der mur d’argent besser als diese beiden Männer.
Weitere Kostenlose Bücher