Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
die Marke von 50 Francs je Dollar. Aber bevor er noch die Möglichkeit hatte, sein Finanzprogramm zu erläutern oder neue steuerliche Maßnahmen einzuführen, schien schon allein seine Präsenz die Investoren zu beruhigen. Innerhalb von zwei Tagen stieg der Kurs des Franc auf 43, in der folgenden Woche stand er wieder bei 35, was einem Anstieg um über 40 Prozent entsprach. Diese erstaunliche Erholung scheint die These zu bestätigen, dass die Währung im letzten Stadium ihres Zusammenbruchs jede Verbindung zur ökonomischen Realität verloren hatte und von Spekulanten nach unten getrieben wurde.
Der Franc fand in Poincarés Persönlichkeit ebenso große Unterstützung wie in seiner politischen Geltung. Er war der uncharismatischste Politiker in ganz Frankreich – kalt, introvertiert und ungesellig 32 –, aber er glich dies aus durch seinen enormen Arbeitseifer, verbunden mit einem fotografischen Gedächtnis und einer akribischen Aufmerksamkeit für Details. Vor allem war er von gewissenhaftester Ehrlichkeit – und das in einer Zeit, als die französischen Politiker nur ein sehr geringes Verständnis für die Grenze zwischen öffentlichen Pflichten und privaten Gewinnen zu haben schienen. Er war für sein provinzielles Misstrauen gegen alle kosmopolitischen Pariser bekannt, vor allem gegen Bankiers. Der durchschnittliche französische Anleger – der kleine Ladenbesitzer aus der Picardie, der sparsame Bauer in der Auvergne, der eminent tüchtige Dorfarzt aus der Normandie und natürlich der Glasfabrikant aus Poincarés heimatlichem Lothringen – erkannten sich in ihm wieder und waren beruhigt, weil er sich um ihre Finanzen kümmerte.
Als der Wechselkurs des Franc an den Börsen stieg, fielen die Preise der Importgüter, und der Index der Lebenshaltungskosten begann zu sinken. In diesem Sommer waren die Zeitungen voll mit Berichten über das Kommen und Gehen amerikanischer Finanziers in Europa. Am 24. Juli kam Finanzminister Andrew Mellon in Paris an. In der ersten Augustwoche entdeckte man Strong in Den Haag bei einer Unterredung mit Schacht. Am 20. August tauchten Strong und Mellon in Evian mit Parker Gilbert auf, dem Generalagenten für die deutschen Reparationen. Worüber konnten alle diese prominenten amerikanischen Geldleute reden, wenn nicht über das Problem des Franc? Während die geheimnisvollen Reisen der Bankiers durch Europa wunderbares Futter für Finanz-Klatschmäuler boten, waren sie in Wirklichkeit größtenteils ein Nebenschauplatz. Wie sich herausstellte, war Mellon hauptsächlich nach Europa gekommen, um seine kranke Tochter in Rom zu besuchen und sie zur Wasserkur nach Evian zu bringen.
Das Kapital, das in den beiden Vorjahren aus Frankreich geflohen war, begann nun unaufhaltsam zurückzufließen, was die finanzielle Hilfe Amerikas oder Großbritanniens größtenteils überflüssig machte. Jedenfalls legte Poincaré die Vereinbarungen über die Kriegsschulden der Nationalversammlung noch nicht zur Ratifizierung vor, weil sie dort auf enormen Widerstand stießen. Ohne diese Vereinbarungen konnte es keine Kredite aus dem Ausland geben.
Moreau selbst war zunächst unsicher, wie er auf die Erholung des Franc reagieren sollte. Sein erster Impuls war, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Von seiner Ausbildung her war er ein Beamter der alten Schule, und obwohl er über beträchtliche Erfahrung im Bankwesen verfügte, war sein Verständnis der Geldwirtschaft recht rudimentär und manchmal auch wirr. Die Wahrheit ist, dass damals nur sehr wenige Bankiers von sich behaupten konnten, die Situation Frankreichs 1926 vollständig zu verstehen, vor allem die komplizierten Wechselwirkungen zwischen dem Geldzufluss und seinen Auswirkungen auf den Wechselkurs und die Inlandspreise sowie die Auswirkungen Letzterer auf die Gesamtwirtschaft. Moreau hatte das Glück, mit seinen beiden Untergebenen Charles Rist und Pierre Quesnay zwei der wenigen Männer gefunden zu haben, die das alles verstanden.
Rist, 52 Jahre alt, war sein Leben lang an der Universität gewesen und bekannt für den Klassiker Geschichte der ökonomischen Lehrmeinungen von den Physiokraten bis zur Gegenwart , den er zusammen mit seinem Kollegen Professor Charles Gide geschrieben hatte, dem Onkel des Schriftstellers André Gide. Nach Moreaus Meinung war Rist so etwas wie ein »Sklave der Bücher, die er geschrieben hat und der Vorlesungen, die er gehalten hat.« 1924 hatte er die Aufmerksamkeit der Finanzbürokratie mit seiner kurzen, aber
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