Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
Welt stehe »in Flammen«, und seine Aktionen seien »nun einmal geschehen und nicht mehr ungeschehen zu machen.« Das Board versuchte eine Regelung zu verabschieden, die es der New Yorker Fed untersagen sollte, weiter auf eigene Faust Geld in den Markt fließen zu lassen, aber dann tauchte die Frage auf, ob es überhaupt gesetzlich befugt war, das zu tun. An den folgenden Tagen gab es ein beträchtliches juristisches Gerangel über die präzise Rechtsposition des Boards und der New Yorker Fed. Harrison schlug schließlich vor, man solle die bürokratische Auseinandersetzung über Macht und Prozeduren verschieben, bis die Krise überwunden wäre. Derweil erklärte er sich einverstanden, nicht mehr einseitig zu handeln, unter der Voraussetzung, dass das Board ihm erlaubte, weitere 200 Millionen Dollar in Staatsanleihen zu stecken – ein Arrangement, das ihm gestattete, die finanziellen Ressourcen des gesamten Federal Reserve Systems zu nutzen, statt allein die Reserven der New Yorker Fed einsetzen zu müssen.
An diesem Abend traf sich eine etwas größere Gruppe von Bankiers erneut in der Bibliothek von Jack Morgans Haus an der Ecke Madison Avenue/35. Street – am Ort der legendären Rettung des New Yorker Bankensystems durch seinen Vater im Jahr 1907. Auch George Harrison war anwesend.
Da sich die Aktienkurse nun im freien Fall befanden, stürzten alle, die Geld in den Markt für Brokerkredite gepumpt hatten, zu den Notausgängen – Unternehmen mit überschüssigem Bargeld, Ausländer, die von den hohen Zinsen angezogen worden waren und kleine Banken im ganzen Land. In den Tagen seit dem Schwarzen Donnerstag waren über zwei Milliarden Dollar, die einem Viertel der gesamten Brokerkredite entsprachen, abgezogen worden oder standen kurz davor. Das verursachte massive zusätzliche Verkäufe und ein Gerangel um Bargeld, sodass die gesamte Finanzstruktur der Broker und der Banken in der Wall Street aus den Fugen zu geraten drohte. Um einer solchen finanziellen Stampede vorzubeugen, bei der sich alle gleichzeitig auf den Ausgang stürzen, schlugen einige Bankiers vor, die Börse zu schließen, wie man es beim Kriegsausbruch 1914 getan hatte.
Das Treffen dauerte bis 2.00 Uhr morgens. Harrison zeigte sich unnachgiebig. »Die Börse sollte um jeden Preis geöffnet bleiben«, sagte er der Versammlung. Eine Schließung des Aktienmarkts werde das Problem nicht lösen, sondern nur auf die lange Bank schieben, und weil sie Transaktionen verhinderte, werde sie die Krise womöglich verlängern und zu weiteren Pleiten führen. Stattdessen schlug er vor, die New Yorker Banken sollten einen großen Teil der Brokerkredite von den Marktteilnehmern übernehmen, die sich von der Börse zurückziehen wollten. Indem sie derart in die Bresche sprangen, würden sie Panikverkäufe und einen völligen Zusammenbruch verhindern. »Ich bin bereit, alle benötigten Mittel zur Verfügung zu stellen«, versicherte er den Bankiers.
In den nächsten Tagen, als die Fed genau dies tat, übernahmen die New Yorker Banken mehr als eine Milliarde Dollar an Brokerkrediten. Diese Operation fand nicht die Aufmerksamkeit des Morgan-Konsortiums, aber es gibt kaum Zweifel, dass Harrison durch sein schnelles und unverzügliches Handeln nicht nur einen noch schlimmeren Zusammenbruch der Aktienkurse verhindert hatte, sondern auch mit größter Sicherheit einer Bankenkrise vorbeugte. Obwohl der Crash vom Oktober 1929 nach einer bestimmten Zählung schon die elfte Börsenpanik seit dem Schwarzen Freitag von 1869 und fast in jeder Hinsicht die schlimmste von allen war, blieb sie die erste, die nicht zur Pleite einer großen Bank oder eines Unternehmens führte.
In den letzten Oktobertagen tendierte der Markt nach oben. Dann fiel er bis zum 13. November wieder bis auf die Tiefs des Schwarzen Dienstags zurück. In den letzten Novemberwochen hatte sich der Dow auf ein Niveau von etwa 240 Punkten eingependelt – ein Verlust von 40 Prozent innerhalb von acht Wochen seit Ende September. Die Anfang 1928 entstandene Spekulationsblase hatte nur etwas länger als anderthalb Jahre gedauert. Allem Anschein nach hatte der Crash im Oktober lediglich die Hohlräume im Markt beseitigt und ihn durch Neuordnung wieder näher an seinen angemessenen Wert geführt.
In den Wochen nach dem großen Crash bemühte sich die verwirrte Finanzpresse, dem ganzen Geschehen einen Sinn abzugewinnen. Trotz des Ausmaßes der Verluste – 50 Milliarden Dollar an Aktienwert waren ausgelöscht
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