Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
wie heute. … Ein Kapitalismus, der die Arbeiter der Welt nicht ernähren kann, hat keine Existenzberechtigung. Die Schuld des kapitalistischen Systems liegt in seiner Allianz mit der gewalttätigen Politik des Imperialismus und des Militarismus. … Die herrschenden Klassen der heutigen Welt haben in der politischen Führung ebenso versagt wie in der ökonomischen.« Eine solche Kritik vom »Oberhaupt einer der mächtigsten kapitalistischen Organisationen der Welt« war ein wenig ungewöhnlich, kommentierte die New York Times .
Schacht sprach mit seiner üblichen Selbstsicherheit, drängte das Kabinett, Zahlungen an die ausländischen Gläubiger der Danatbank auszusetzen und sie so zu zwingen, die Folgen ihrer tollkühnen und unvernünftigen Kreditvergabepraktiken zu tragen. Die Regierung beschloss, seinem Rat nicht zu folgen, weil sie glaubte, auf diese Weise würde man jede Hoffnung auf Rettung aus dem Ausland zerstören.
Die Kabinettssitzung endete um 2.00 Uhr morgens. Später an diesem Vormittag bestieg Luther ein weiteres Flugzeug, diesmal nach Basel, um einen letzten verzweifelten Appell an die in der BIS versammelten Zentralbankiers zu richten. Nachdem sie zwölf Stunden lang hinter verschlossenen Türen konferiert hatten, kamen sie heraus und gaben bekannt, dass es keine neuen Kredite geben werde. Um 11.30 Uhr Baseler Zeit erreichte Harrison Norman telefonisch. Der Engländer klang »müde, mürrisch und entmutigt«. Das Problem sei einfach »zu groß für die Zentralbanken« berichtete er. Die einzige Lösung war die Streichung der ganzen Struktur von Kriegsschulden und Reparationen, die die Welt in den letzten zwölf Jahren zu Boden gedrückt hatten.
Am Montag, dem 13. Juli, als Luther nach Basel fuhr, öffnete die Danatbank vormittags ihre Türen nicht. An den Türen aller Filialen hatte man eine Verordnung der Regierung angebracht, das die Einlagen garantierte. Bei einer Pressekonferenz gab Jacob Goldschmidt bekannt, dass die Bank in den vergangenen drei Monaten etwa 240 Millionen Dollar oder 40 Prozent ihrer Einlagen verloren hatte, ungefähr die Hälfte davon an Ausländer. Die Schuld an dem Ansturm wies er den wilden Gerüchten zu, die durch antisemitische Agitation in der nationalistischen Presse angeheizt wurden.
In der Hoffnung, die Auswirkungen eingrenzen zu können, hielt die Reichsbank an diesem Tag den Rest des Bankensystems geöffnet. Gegen Mittag wurden die Filialen jeder Bank im Land belagert. Die führenden Banken beschränkten Abhebungen auf höchstens zehn Prozent des Guthabens des jeweiligen Kunden. In den Vorstädten Berlins wurden die Sparkassen derart belagert, dass sie unter schwerem Polizeischutz schlossen. In Hamburg gab man kommunistischen Agitatoren die Schuld an sporadischen Unruhen. Am Abend verkündete Präsident Hindenburg zweitägige Bankferien. Die Behörden hofften, eine kurze Atempause werde es den Menschen ermöglichen, wieder zur Besinnung zu kommen. Die Banken in Deutschland blieben für weitere zwei Wochen geschlossen – ausgenommen für die allerwichtigsten Vorgänge wie der Zahlung von Löhnen und Steuern –, und das wirtschaftliche Leben im Land kam gleichsam zum Stillstand.
Alle Banken in Ungarn wurden für drei Tage geschlossen. In Wien ging eine weitere große Bank pleite. In Danzig und Riga, in Polen, Jugoslawien und der Tschechoslowakei wurden Banken geschlossen. In ganz Europa, sogar in mondänen Kurorten wie Marienbad und Karlsbad saßen deutsche Touristen fest, weil die Hotels und Geschäfte ihre Mark nicht mehr akzeptierten. Die deutsche Regierung gab eine Verordnung nach der anderen heraus. Trotz der hohen Arbeitslosigkeit wurden die Zinsen auf 15 Prozent erhöht, nur um Geld im Land zu halten. Alle Zahlungen auf die kurzfristigen Verbindlichkeiten Deutschlands wurden eingestellt. Sämtliche Fremdwährungen mussten der Reichsbank übergeben werden, und alle Geldbewegungen aus Deutschland heraus wurden streng reguliert, was praktisch mit dem Abschied vom Gold gleichzusetzen war.
Zum zweiten Mal in weniger als acht Jahren stand Deutschland vor einer wirtschaftlichen Katastrophe. Trotz des Chaos blieb es im Land überraschend friedlich, abgesehen von einigen kleineren Unruhen in Leipzig und Dresden, Düsseldorf und Koblenz. Es herrschte eine Atmosphäre »resignierter Passivität, entstanden durch die erschöpfte Hinnahme des Unvermeidlichen«, schrieb die New York Times – die Folge eines Jahrzehnts wirtschaftlicher Turbulenzen. Der britische
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