Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
ausgebrochen war, aber niemand erwartete auch, dass er besonders lange dauern würde. Während die Soldaten auf beiden Seiten an die Front marschierten und erwarteten, dem Feind eine kräftige Tracht Prügel zu verabreichen, versprachen die Generäle, sie würden schon an Weihnachten wieder daheim sein. Von solchem Optimismus der professionellen Militärs angestachelt, dachten sich die Finanziers, es sei entscheidend – da der Krieg ja nur kurz sein würde – an dessen Ende finanziell gut und mit intakten Goldreserven dazustehen.
Die Bankiers und Ökonomen waren derart selbstgefällig, dass sie sich sogar die Überzeugung erlaubten, die Disziplin des »vernünftigen Geldes« selbst werde alle Beteiligten zur Vernunft bringen und ein Ende des Krieges erzwingen. Am 30. August 1914, knapp einen Monat nach Kriegsbeginn, schrieb Charles Conant von der New York Times , die internationale Bankengemeinschaft sei sehr zuversichtlich, dass es nicht das »grenzenlose Drucken von Papiergeld und dessen ständige Abwertung« geben werde, die in früheren Kriegszeiten zu katastrophalen Inflationen geführt hatte. »Die Wissenschaft vom Geld wird heute besser verstanden als damals«, erklärten die Bankiers zuversichtlich.
Sir Felix Schuster, Chairman der Union of London and Smith’s Bank, einer der prominentesten Bankiers der Stadt, erzählte überall voller Zuversicht, die Kämpfe würden innerhalb von sechs Monaten enden – die Störungen des internationalen Handels wären sonst zu schwerwiegend. John Maynard Keynes, damals ein 31-jähriger Dozent für Wirtschaftswissenschaften am King’s College in Cambridge, der quasi über Nacht zu einem Experten für Finanzpolitik in Kriegszeiten geworden war, sagte seinen Freunden im September 1914, er sei »sehr sicher, dass der Krieg nicht länger als ein Jahr dauern kann«, weil die liquiden Mittel in Europa, die zur Finanzierung des Krieges verwendet werden konnten, dann »aufgebraucht« seien. Und er konnte sehr zornig werden, wenn jemand so dumm war, das anders zu sehen. Im November 1914 prognostizierte der Economist , der Krieg werde in ein paar Monaten vorbei sein. Im selben Monat, bei einem Abendessen zu Ehren des britischen Kriegsministers Feldmarschall Lord Kitchener, erklärte der französische Finanzminister zuversichtlich, die Kämpfe würden im Juli 1915 vorbei sein, weil das Geld ausgehen werde. Aber nicht nur die Experten der Alliierten trugen derartige Scheuklappen. Als man den ungarischen Finanzminister Baron Janos Teleszky im Kabinett fragte, wie lange sein Land den Krieg bezahlen könne, antwortete er: »Drei Wochen.«
Während die Finanziers in Europa zusahen, wie ihr Kontinent in den Untergang rutschte, wie das Kreditsystem unter seiner eigenen Last zusammenbrach, wie die Börsen rund um die Welt den Handel einstellten und der Goldstandard zum Stillstand kam 9 , klammerten sie sich an die Hoffnung, der Welthandel werde nur für kurze Zeit unterbrochen, und danach werde die Welt schnell wieder zum vorherigen Zustand zurückkehren. Nur wenige ahnten, dass sie gerade die letzten Zuckungen einer ganzen Wirtschaftsordnung erlebten.
Die Experten schienen vergessen zu haben, dass zu den ersten Opfern des Krieges nicht nur die Wahrheit gehört, sondern auch die vernünftige Finanzpolitik. Keiner der großen Kriege des vorangegangenen Jahrhunderts – zum Beispiel die Napoleonischen Kriege oder der amerikanische Bürgerkrieg – war lediglich durch Mangel an Gold zu Ende gegangen. Es waren Kämpfe bis zum Tod, in denen die Kriegsparteien nicht zögerten, wirklich alles zu tun – die Steuern zu erhöhen, sich zu verschulden, immer mehr Geld zu drucken –, um das nötige Geld für die Finanzierung des Krieges aufzubringen.
Ende 1915 standen in ganz Europa 18 Millionen Männer im Kriegseinsatz. An der Westfront standen sich zwei gigantische Armeen gegenüber – drei Millionen Soldaten der Alliierten und zweieinhalb Millionen Deutsche. Sie saßen in Schützengräben fest, die sich über eine fast 800 Kilometer lange Front erstreckten; vom Ärmelkanal durch Belgien und Frankreich bis zur Schweizer Grenze. Die Front war unbeweglich, sie lag da wie ein gigantisches schlafendes Reptil, das sich über ganz Westeuropa erstreckte. Es war eine perverse Logik: Weil Hunderttausende Männer abgeschlachtet wurden, diente ihr schreckliches Opfer als Rechtfertigung der Intensivierung des Krieges, und das Blutbad schuf sich so seinen eigenen Antrieb.
Dennoch dauerte es lange, bis
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