Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
die unnötigen Verantwortlichkeiten und Belastungen eines solchen Amtes aufzuladen und behauptete, er könne diese Anspannung nervlich nicht ertragen. Das war ein seltsamer Hinweis auf die Probleme, mit denen später sein Enkel konfrontiert wurde.
Sir Mark Collet, Normans Großvater mütterlicherseits, war völlig anders. Er hatte sein Vermögen selbst erworben, hatte seine Karriere als Angestellter in einem Handelshaus begonnen und war 1849 nach New York City gegangen. Bei seiner Rückkehr nach England zwei Jahre später trat er in die Firma Brown Shipley ein, den britischen Zweig der Handelsbank Brown Brothers of New York and Baltimore, und schließlich wurde er deren Partner in London. Als er 1866 in den Verwaltungsrat der Bank of England berufen wurde, absolvierte er pflichtbewusst seine Amtszeit als Gouverneur und wurde später für seine Dienste geadelt.
Bei dieser Herkunft überraschte es kaum jemanden, dass Montagu Norman schließlich bei der Bank of England landete. Als er 1915 dort anfing, hatte er allerdings erst eine kurze und nicht besonders ruhmreiche Karriere als Handelsbankier hinter sich und war in der City nicht sehr bekannt. Während seiner ersten Wochen hörte man den damaligen Gouverneur Lord Cunliffe sagen: »Da kommt schon wieder dieser komische Kauz mit dem gelben Bart. Wissen Sie, wer das ist? Ständig sehe ich ihn hier herumschlurfen wie eine verlorene Seele, die nichts Besseres zu tun hat.« Nur wenige Leute hätten damals prognostiziert, dass dieser »Kauz« einen außergewöhnlichen Aufstieg innerhalb der Institution schaffen würde. Nichts deutete darauf hin, dass er für die Arbeit eines Zentralbankiers geeignet war. Aber schon nach drei Jahren wurde er zum stellvertretenden Gouverneur gewählt, und zwei Jahre später wurde er Gouverneur. Diesen Posten behielt er schließlich 24 Jahre lang, was es noch niemals gegeben hatte.
In den Händen der Regierung
Wenn Großbritannien das verantwortungsvollste unter den kriegführenden Ländern war, dann glich sein Verbündeter Frankreich dies aus, indem es sich als das verantwortungsloseste Land erwies. Die französische Regierung gab insgesamt 30 Milliarden Dollar für den Krieg aus. Nur wenige Völker wehrten sich so vehement gegen Steuerzahlungen wie die Franzosen. Sie schienen schon die geringste offizielle Nachfrage bezüglich ihrer Finanzen als ungerechtfertigte Einmischung des Staates »in die heiligsten Nischen des Privatlebens« und als Verletzung ihrer fundamentalen Bürgerrechte zu empfinden. Folglich erhöhte die Regierung zumindest während der ersten beiden Kriegsjahre die Steuern nicht und änderte diese Politik erst 1916, als sie am Rand des finanziellen Zusammenbruchs stand. Insgesamt finanzierte Frankreich weniger als fünf Prozent der Kriegsausgaben durch Steuererhöhungen.
Vor der kompletten finanziellen Katastrophe rettete das Land nur die Fähigkeit der Regierung, zwei Quellen anzuzapfen. Erstens die notorisch sparsame französische Mittelklasse, die Staatsanleihen im Volumen von 15 Milliarden Dollar kaufte, zweitens ausländische Regierungen, speziell die britische und die amerikanische. Da sie sahen, dass Frankreich die Hauptlast des Krieges trug, was die menschlichen Opfer betraf, liehen sie dem Land insgesamt zehn Milliarden Dollar. Es blieb immer noch eine beträchtliche Lücke, die man füllte, indem man Geld druckte. Während sich die im Umlauf befindliche Geldmenge in Großbritannien verdoppelte, verdreifachte sie sich in Frankreich.
Geld aus der Zentralbank zu ziehen war in Frankreich wesentlich einfacher als in Großbritannien; teilweise deshalb, weil der Gouverneur der Banque de France traditionell kein Bankier war, sondern ein hoher Beamter, der vom Staat ernannt wurde. In der Tat hatte der Finanzminister in weiser Voraussicht schon 1911 mit der Banque einen Kreditrahmen für den Kriegsfall vereinbart. Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Die Banque de France war wie die Bank of England mitten in einem Krieg gegründet worden, aber im Gegensatz zu seinem älteren Pendant ging es dabei nicht so sehr um die Beschaffung von Geld wie darum, Ordnung in eine chaotische monetäre Situation zu bringen.
1799 gab es in Frankreich eine bedrückende Geldknappheit. Zehn Jahre Revolution mit allen damit verbundenen Turbulenzen hatten ihren Tribut gefordert. Gold und Silber waren aus dem Land verschwunden, und das gescheiterte Experiment der Revolutionsregierung mit Assignaten hatte jedes verbliebene Vertrauen in
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