Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
europäischen Siegermächte gleich nach dem Krieg ergriffen hatte, verschwand nun wieder, weil die bittere Realität der allgemeinen Position Großbritanniens immer deutlicher sichtbar wurde. Der Krieg hatte die Balance der finanziellen Stärke verändert, und Strong stieß immer wieder auf heftige Ressentiments gegen die USA, vor allem wegen der Kriegsschulden.
Damals dachten nur wenige an ein »besonderes Verhältnis« zwischen Großbritannien und den USA – in der Tat wurde dieser Ausdruck erst 1945 von Winston Churchill geprägt. Vor dem Krieg hatten die Londoner Bankiers ihre amerikanischen Kollegen mit jener Hochnäsigkeit betrachtet, die man für unkultivierte Verwandte reserviert, die reicher sind als es gut für sie ist.
Innerhalb der USA waren bestimmte Kreise – das Haus Morgan, die Partner bei Brown Brothers – natürlicherweise anglophil eingestellt. Andernorts wurde Großbritannien allgemein mit Misstrauen und Zynismus betrachtet. Aber während des Kriegs und danach war die britische Arroganz dem Groll gewichen. Die Londoner Bankiers fürchteten, die USA mit ihren neu erworbenen finanziellen Muskeln seien dazu bereit, sich die Position als Bankiers der Welt zu erkämpfen. Während seines Besuchs in London im März 1916 hörte Strong eine Rede von Sir Edward Holden, Chairman der London City and Midland Bank, »in der Sir Edward auf Bemühungen der amerikanischen Bankiers hinwies, die Vorherrschaft der Lombard Street zu brechen … und allein dieser Gedanke überwältigte den alten Mann so sehr, dass er zusammenbrach und weinte.«
Strong bemerkte, dass die britischen Bankiers und Politiker fest davon überzeugt waren, »dass die Alliierten im Krieg die größten und entscheidendsten Opfer gebracht haben«, während die Opfer der USA »gering waren, unsere Gewinne immens, und dass die Existenz dieser hohen Schulden als Damoklesschwert über ihren Köpfen hängt.« Man war sehr verbittert darüber, wie lange die USA nicht am Krieg teilgenommen hatten. Viele von Strongs englischen Bekannten glaubten, Amerika habe absichtlich gewartet, bis Europa erschöpft war, um dann in den Krieg einzutreten und die besten Stücke einzuheimsen. Diese Leute argumentierten auch, die US-Regierung sei moralisch dazu verpflichtet, den europäischen Alliierten einen Teil ihrer Kriegsschulden zu erlassen. Das traf besonders auf Großbritannien zu, das sich von den USA etwa fünf Milliarden Dollar ausgeborgt, aber selbst elf Milliarden Dollar an Frankreich, Russland und andere Länder verliehen hatte. Im Prinzip hatte es die Kredite nur weitergeleitet. Und obwohl sein Freund Norman ihm zu versichern versuchte, die Leute ließen es zu, »dass die Herzen ihre Köpfe regieren«, dass die Bonität Großbritanniens immer noch stark sei und das Land seine Schulden bedienen könne, war Strong zweifellos über den Pessimismus erschüttert, der in der Londoner City herrschte.
Nicht nur Großbritanniens Stellung in der Welt hatte sich geändert, der Krieg hatte auch die britische Gesellschaft transformiert. Die Aristokratie, die das Land während des größten Teils des vergangenen Jahrhunderts regiert hatte, war schwer geschädigt worden. Ein zeitgenössischer Autor schrieb, wenn auch etwas übertrieben formuliert: »Beim sinnlosen Abschlachten der Guards an der Somme oder der Rifle Brigade im Wald von Hooge gingen Mitglieder berühmter Familien, Erben großer Landgüter und Reichtümer lautlos zugrunde.« Nachdem sie in den Kämpfen heftige Verluste erlitten hatte – bei den jungen Offizieren war die Quote der Gefallenen drei Mal so hoch wie bei den Mannschaftsdienstgraden – wurde die alte Elite auch von der Inflation getroffen und nun durch die ökonomischen Umwälzungen nach dem Krieg dezimiert. Die Preise für Land brachen ein, und viele große Güter wurden schließlich versteigert. Statt der alten und selbstbewussten herrschenden Klasse war eine ganz andere Sorte von Menschen an die Macht gekommen: »Männer mit harten Gesichtern, die so aussahen, als hätten sie vom Krieg profitiert«, wie ein wichtiger Politiker seine neuen Kollegen im Unterhaus beschrieb.
Ende Juli fuhr Strong nach Paris und benutzte in den folgenden Wochen das Hotel Ritz an der Place Vendôme als Basis, während er durch Europa reiste. Er besuchte das erst wenige Monate zuvor befreite Brüssel, Antwerpen und Amsterdam, wobei er zu den Leitern der europäischen Zen-
tralbanken Beziehungen knüpfte, aber auch eine melancholische Autofahrt zu den
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