Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
Finanzminister Stanley Baldwin war ein praktisch veranlagter und vernünftiger Geschäftsmann, der fest daran glaubte, dass man Schulden begleichen musste. Er war von diesem Grundsatz so fest überzeugt, dass er 1919 anonym 700 000 Dollar von seinem eigenen Geld zur Tilgung der nationalen Schulden nach dem Krieg an die Regierung gespendet hatte, was einem Fünftel seines Nettovermögens entsprach. 19
Als die Rhetorik auf beiden Seiten des Atlantiks immer hitziger wurde, entschied sich Baldwin für Verhandlungen, um eine Einigung mit den Amerikanern zu erreichen. Er sagte ihnen, er wolle »die Diskussion in der Art der Geschäftsmänner führen, die eine geschäftsmäßige Lösung für ein Problem suchen, das im Prinzip geschäftlicher Natur ist.«
Eine britische Delegation unter Baldwins Führung und mit Norman Montagu, dem Präsidenten der Bank of England, als wichtigstem Berater ging am 30. Dezember an Bord der Majestic, um in die USA zu reisen. Norman war sicher, dass eine Einigung mit den Amerikanern von entscheidender Bedeutung war, wenn Großbritannien seine Kreditwürdigkeit wiedererlangen und Londons Stellung als wichtigstes Finanzzentrum der Welt wieder beanspruchen wollte. Er hatte die USA im August 1921 und im Mai 1922 besucht, um mit Strong wichtige hohe Verwaltungsbeamte zu treffen. Es gab auch ein Geheimtreffen mit dem Präsidenten Warren Harding, um ihn davon überzeugen, dass sich die USA weiter im europäischen Finanzwesen engagieren sollten. Dank dieser Vorarbeiten kannte Norman von allen britischen Finanzbeamten die amerikanische Politik und die Situation in Washington am besten.
Während der stürmischen Fahrt über den Atlantik, die wegen rauer See, Sturm und Nebel doppelt so lange dauerte wie sonst, wurden Baldwin und Norman gute Freunde. Politikern misstraute Norman in der Regel und behauptete ein wenig unaufrichtig, er selbst habe keine politischen Ansichten. Er prahlte sogar, noch nie gewählt zu haben. Der gelassen uncharismatische Baldwin war die Quintessenz eines Nichtpolitikers. Sie sollten ihr Leben lang Freunde bleiben, weil sie gemeinsame Vorlieben hatten: die Freuden der Stille, Spaziergänge auf dem Land und Streichquartette. Sir Percy Grigg, ein hoher Beamter im Finanzministerium, der beide gut kannte, beschrieb es so: »Sie schienen einander zu verstehen und konnten miteinander kommunizieren, ohne mehr als ein paar einsilbige Worte auszutauschen.«
Das amerikanische Verhandlungsteam wurde von Minister Andrew Mellon angeführt, der damals Ende 60 war. Er war der Sohn einer reichen Familie aus Pittsburgh und hatte sich unabhängig davon bis zu seinem 40. Geburtstag ein Vermögen von etwa 500 Millionen Dollar erworben. Damit war er nach John D. Rockefeller und Henry Ford der drittreichste Amerikaner. Er war wortkarg, kalt und verschlossen – sein Sohn Paul verglich ihn mit dem vom Geld besessenen Soames Forsythe aus John Galsworthys Forsythe Saga – und sein Reichtum hatte ihm nur wenig Glück gebracht. Als er schon über 40 war, hatte er eine frivole 19-jährige Engländerin geheiratet, die ihn schon nach wenigen Jahren wegen eines ehrgeizigen Schwindlers verließ, was zu einer Scheidung voller Skandale führte. Jetzt wohnte er in einer opulent möblierten Wohnung mit sechs Schlafzimmern in der Massachusetts Avenue 1785, einen Block östlich vom Dupont Circle, wo seine Tochter Alisa, eine unsichere und kränkliche junge Dame, die zu allen Arten psychosomatischer Leiden neigte, als Prostituierte arbeitete.
Die Verhandlungen fanden unter größter Geheimhaltung statt. Einige Sitzungen wurden sogar in Mellons Wohnung abgehalten, wo Gemälde alter Meister an den Wänden hingen. Es gab gemeinsame Mittag- und Abendessen. Zu einem von ihnen wurde Vizepräsident Calvin Coolidge, »Silent Cal«, eingeladen. Während der gesamten Mahlzeit sagte er kein einziges Wort zu einem seiner Nachbarn. Später tat er das Problem der Kriegsschulden bekanntermaßen ab, indem er ausrief: »Sie haben sich das Geld bei uns geliehen, oder etwa nicht?« Die britische Delegation war überrascht, jede Menge Spirituosen in Privathäusern vorzufinden, obwohl Prohibition herrschte.
Vor der Abfahrt aus London hatte sie der amerikanische Botschafter in der Meinung bestärkt, sie könnten eine Einigung auf der Basis von 60 Cents je Dollar erreichen, und das Kabinett hatte ihnen nicht erlaubt, ein höheres Angebot zu machen. In Washington stellten sie fest, dass die US-Administration zwar durchaus an einer
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