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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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wir.»
    «Nun, wenn du es nicht tun willst», sagte Beocca ungehalten, weil ich mich nicht rührte, «dann werde ich es tun.» Er führte
     Thyra zu Kjartans Palas, aus dessen Abzug im Dach noch immer Rauch stieg. Ragnar wollte, dass ich sie begleitete, doch ich
     schüttelte den Kopf, und er ließ es dabei. Dann stellte ich meinen rechten Fuß auf Kjartans Körper und zerrte den Herzbrecher
     aus der Leiche. Ich gab Ragnar sein Schwert, und er umarmte mich, doch keiner von uns beiden empfand ein Hochgefühl. Wir hatten
     das Unmögliche geschafft, wir hatten Dunholm eingenommen, doch Ivarr lebte immer noch, und Ivarr war der gefährlichere Feind.
    «Was soll ich Thyra sagen?», fragte mich Ragnar.
    «Du sagst ihr die Wahrheit», antwortete ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst sagen sollte. Und dann ging ich Gisela holen.
     
    Gisela und Brida halfen Thyra beim Waschen. Sie wuschen ihren Körper und ihr Haar, sie befreiten es von den Efeuranken und
     kämmten die goldenen Strähnen aus, und dann trockneten sie es vor dem großen Feuer in Kjartans Palas, und sie kleideten Thyra
     in ein einfaches, wollenes Gewand und einen Umhang aus Otternfell. Ragnar setzte sich zu ihr ans Feuer und sprach mit ihr.
     Sie blieben bei diesem Gespräch unter sich, und ich trat mit Pater Beocca vor das Haus. Es hatte zu regnen aufgehört. «Wer
     ist Abaddon?», fragte ich.
    «Ich war für deine Erziehung verantwortlich», sagte er, |439| «und ich schäme mich vor mir selbst. Wie kannst du das nicht wissen?»
    «Ich weiß es eben nicht», sagte ich. «Also, wer ist er?»
    «Der dunkle Engel des bodenlosen Abgrundes natürlich. Ich bin sicher, dass ich dir das beigebracht habe. Er ist der erste
     Dämon, der dich quält, wenn du nicht Buße tust und das Christentum annimmst.»
    «Ihr seid ein tapferer Mann, Pater.»
    «Unsinn.»
    «Ich wollte zu ihr», sagte ich, «aber die Hunde haben mich zu sehr geängstigt. Diese Bestien haben heute dreißig oder mehr
     Männer getötet, und Ihr seid einfach zwischen sie gelaufen.»
    «Das sind doch nur Hunde», sagte er geringschätzig. «Wenn Gott und Sankt Cuthbert mich nicht einmal vor Hunden beschützen
     können, wozu sind sie dann überhaupt fähig?»
    Ich unterbrach ihn, legte ihm beide Hände auf die Schultern und drückte sie. «Ihr wart sehr mutig, Pater», beharrte ich, «und
     ich bewundere Euch dafür.»
    Beocca war überaus geschmeichelt von diesem Lob, doch er bemühte sich dennoch um Bescheidenheit. «Ich habe einfach nur gebetet»,
     sagte er, «und Gott hat alles andere getan.» Ich ließ ihn los, und er ging ein paar Schritte und trat nebenbei mit seinem
     Klumpfuß an einen Speer, der nach dem Kampf liegen geblieben war. «Ich habe nicht geglaubt, dass die Hunde mir etwas tun würden»,
     sagte er, «weil ich Hunde immer gemocht habe. Als Kind hatte ich selbst einen Hund.»
    «Ihr solltet Euch wieder einen anschaffen», sagte ich. «Ein Hund wäre Euch ein treuer Gefährte.»
    «Ich konnte als Junge nicht arbeiten», fuhr er fort, als hätte ich nichts gesagt. «Gut, ich konnte Steine sammeln |440| und die Vögel von der frischen Saat verjagen, aber ich konnte keine richtigen Arbeiten verrichten. Der Hund war mein Freund,
     aber dann ist er gestorben. Ein paar andere Jungen haben ihn getötet.» Er blinzelte ein paar Mal. «Thyra ist eine schöne Frau,
     findest du nicht?», sagte er versonnen.
    «Jetzt ist sie es wieder», stimmte ich zu.
    «Diese Narben an ihren Armen und Beinen», sagte er, «ich hatte geglaubt, Kjartan oder Sven hätten sie verletzt. Aber sie waren
     es nicht. Sie hat es selbst getan.»
    «Sie hat sich selbst geschnitten?»
    «Sich mit Messern aufgeritzt, wie sie mir erzählt hat. Warum hat sie das nur getan?»
    «Um sich hässlich zu machen?», schlug ich vor.
    «Aber das ist sie nicht», sagte Beocca verständnislos. «Sie ist wunderschön.»
    «Ja», sagte ich, «das ist sie.» Wieder erfüllte mich Mitleid für Beocca. Er wurde alt, und er war immer ein Krüppel und immer
     hässlich gewesen, und er hatte immer heiraten wollen, doch niemals war ihm die Liebe begegnet, von der er träumte. Er hätte
     Mönch werden sollen, sodass er gar nicht hätte heiraten dürfen. Stattdessen war er Priester, und er hatte eine Priesterseele,
     denn nun sah er mich mit strenger Miene an.
    «Alfred hat mich geschickt, um Frieden zu predigen», sagte er, «und ich habe gesehen, wie du einen heiligen Bruder getötet
     hast, und jetzt noch dies hier.» Er verzog das

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