Die Herren des Nordens
Guthred Treue geschworen hatte. Es war ein merkwürdiger Anblick, ein König, der vor einem anderen
kniet, während der alte Römersaal mit Kohlenpfannen erleuchtet wurde, deren Rauch unter der |148| Decke stand. Hinter Egbert knieten seine Höflinge und Diener und rutschten langsam weiter vor, um Guthred ihr Treueversprechen
ebenfalls zu geben. Egbert sah alt, krank und unglücklich aus, während Guthred ein strahlender junger Herrscher war. Ich hatte
Egberts Kettenhemd gefunden und es Guthred gegeben, der die Rüstung gerne trug, weil sie ihn noch königlicher aussehen ließ.
Er begegnete dem entthronten König heiter, zog ihn von den Knien hoch, küsste ihn auf beide Wangen und bat ihn dann voller
Höflichkeit, neben ihm Platz zu nehmen.
«Bring den alten Bastard um!», sagte Ulf.
«Mir steht der Sinn danach, gnädig zu sein», sagte Guthred hoheitsvoll.
«Euch steht der Sinn danach, ein Narr zu sein», gab Ulf zurück. Er war in finsterer Stimmung, denn Eoferwic hatte ihm nicht
einmal ein Viertel der Beute gebracht, die er erwartet hatte. Andererseits hatte er Mädchenzwillinge gefunden, die ihm gefielen,
also beschwerte er sich nicht allzu laut.
Als die Zeremonie vorüber war und auch Eadred seine unendliche Predigt zum Abschluss gebracht hatte, ging Guthred mit mir
durch die Stadt. Ich glaube, er wollte sich in seiner neuen Rüstung zeigen, aber vielleicht wollte er nach dem verrauchten
Saal auch einfach nur wieder einen klaren Kopf bekommen. Er trank in jedem Gasthaus Bier, scherzte mit seinen Männern auf
Englisch und Dänisch und küsste wenigstens fünfzig Mädchen. Doch dann führte er mich zum Festungswall, und wir gingen ihn
schweigend entlang, bis wir auf der östlichen Seite der Stadt waren. Dort blieb ich stehen und sah über das weite Feld, auf
dem der Fluss wie ein Band aus getriebenem Silber unter dem Halbmond lag. «Hier ist mein Vater gestorben», sagte ich.
«Mit dem Schwert in der Hand?»
|149| «Ja.»
«Das ist gut», sagte er und hatte einen Augenblick lang vergessen, dass er jetzt Christ war. «Aber doch ein kummervoller Tag
für Euch.»
«Es war ein guter Tag», sagte ich. «Ich habe Graf Ragnar kennengelernt. Und meinen Vater hatte ich nie besonders gemocht.»
«Nein?» Er klang überrascht. «Warum nicht?»
«Er war ein unerbittlicher Rohling», sagte ich. «Die Männer wollten seine Anerkennung, und er missgönnte sie ihnen.»
«Also wie Ihr», sagte er, und nun war es an mir, überrascht zu sein.
«Wie ich?»
«Mein unerbittlicher Uhtred», sagte er, «ganz Ingrimm und Bedrohlichkeit. Und nun sagt mir, was soll ich mit Egbert tun?»
«Was Ulf vorgeschlagen hat», sagte ich. «Das versteht sich doch von selbst.»
«Ulf würde am liebsten jeden umbringen», sagte Guthred, «weil er dann aller Sorgen ledig wäre. Was würde Alfred tun?»
«Es ist unwichtig, was Alfred tun würde.»
«Doch, es ist wichtig», beharrte er geduldig, «also sagt es mir.»
Guthred hatte etwas an sich, das mich immer dazu brachte, ihm die Wahrheit zu sagen, oder jedenfalls meistens die Wahrheit
zu sagen, und ich war versucht zu antworten, dass Alfred den alten König auf den Marktplatz schleppen und ihm den Kopf abhauen
würde, aber wie ich wusste, stimmte das nicht. Alfred hatte nach Ethandun seinen verräterischen Cousin verschont, und er hatte
seinen Neffen Æthelwold am Leben gelassen, obwohl dieser Neffe einen |150| berechtigteren Anspruch auf den Thron hatte als Alfred selbst. Also seufzte ich. «Er würde ihn leben lassen», sagte ich, «aber
Alfred ist eben ein frommer Narr.»
«Nein, das ist er nicht», sagte Guthred.
«Er fürchtet sich schrecklich davor, Gottes Unwillen zu erregen», sagte ich.
«Sich vor Gottes Unwillen zu fürchten, ist sehr vernünftig», sagte Guthred.
«Bringt Egbert um, Herr», sagte ich drängend. «Wenn Ihr ihn nicht umbringt, wird er versuchen, sein Königreich zurückzubekommen.
Er hat südlich von hier Landbesitz. Er kann eine Streitmacht aufstellen. Wenn Ihr ihn leben lasst, wird er mit seinen Männern
zu Ivarr gehen, und Ivarr will ihn wieder auf dem Thron haben. Egbert ist ein Feind!»
«Egbert ist ein alter Mann, es geht ihm nicht gut, und er hat Angst», sagte Guthred langmütig.
«Dann befreit den armen Hund doch von seinem Elend», beharrte ich. «Ich kann es Euch auch abnehmen. Ich habe noch nie einen
König getötet.»
«Und das würdet Ihr gern einmal tun?»
«Ich töte ihn für Euch», sagte ich.
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