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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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verlieh ihm einen spottenden Ausdruck. Ich wollte ihm seine
     verfaulte Seele aus dem mageren Körper reißen. Er wollte meine Seele auch, aber er wagte keine Bewegung. Und auch sonst bewegte
     sich niemand, bis Guthred über die Haselruten trat und Sihtric seine Hand entgegenstreckte. «Willkommen», sagte er zu dem
     Jungen.
    Pater Willibald, der sofort herbeigeeilt war, als ich mit meinem wütenden Gebrüll angefangen hatte, trat ebenfalls über die
     Haselruten. «Ihr könnt Euer Schwert wieder in die Scheide stecken, Herr», sagte er sanft. Er fürchtete sich zu sehr, um mir
     wirklich nahe zu kommen, war aber tapfer genug, sich vor mich zu stellen und Schlangenhauch behutsam zur Seite zu drücken.
     «Ihr könnt das Schwert wieder in die Scheide stecken», wiederholte er.
    «Der Junge bleibt am Leben», knurrte ich ihn zornerfüllt an.
    «Ja», sagte Willibald leise, «der Junge bleibt am Leben.»
    Gisela beobachtete mich, und ihre Augen strahlten genauso wie in dem Moment, in dem sie ihren Bruder willkommen geheißen hatte,
     als er aus der Sklaverei heimkehrte. Hild beobachtete Gisela.
    Und mir fehlte immer noch ein abgeschlagener Kopf.
     
    Wir machten uns im Morgengrauen auf den Weg. Eine Streitmacht zog in den Krieg.
    Ulfs Männer bildeten die Vorhut, dann kam die Horde Kirchenleute, die Abt Eadreds wertvolle Kästen trugen, und nach ihnen
     folgte Guthred auf einer weißen Stute. Gisela |141| ging an der Seite ihres Bruders, und ich lief knapp dahinter, während Hild Witnere am Zügel führte. Wenn sie müde wurde, bestand
     ich jedoch darauf, dass sie aufstieg und ritt.
    Hild sah aus wie eine Nonne. Sie hatte ihr langes, goldenes Haar geflochten und die Zöpfe eng um ihren Kopf gelegt. Darüber
     trug sie eine hellgraue Haube. Ihr Umhang hatte die gleiche hellgraue Farbe, und um den Hals hatte sie sich ein einfaches
     Holzkreuz gehängt, das sie beim Reiten oftmals betastete.
    «Sie sind dir wieder mit ihrem entnervenden Drängen zu Leibe gerückt, oder?», sagte ich.
    «Wer?»
    «Die Priester», sagte ich, «Pater Willibald. Sie haben dir gesagt, du sollst ins Kloster zurückgehen.»
    «Gott ist mir zu Leibe gerückt», sagte sie. Ich sah zu ihr hinauf, und sie lächelte mich an, wie um mir zu bedeuten, dass
     sie mich nicht mit ihrer Zwickmühle belasten würde. «Ich habe zu Sankt Cuthbert gebetet», sagte sie.
    «Hat er dir eine Antwort gegeben?»
    «Ich habe einfach nur gebetet», sagte sie ruhig, «und das ist ein Anfang.»
    «Gefällt es dir nicht, frei zu sein?», fragte ich sie in unfreundlichem Ton.
    Darüber lachte Hild nur. «Ich bin eine Frau», sagte sie, «wie kann ich frei sein?» Ich sagte nichts, und sie lächelte mich
     erneut an. «Ich bin wie der Mistelzweig», sagte sie. «Ich brauche einen Ast, auf dem ich wachsen kann. Ohne einen Ast bin
     ich nichts.» Aus ihrer Stimme klang keine Bitterkeit, sie schien einfach nur eine offenkundige Wahrheit festzustellen. Und
     sie hatte recht. Sie war eine Frau von guter Herkunft, und wenn man sie damals nicht der Kirche übergeben hätte, wie die kleine
     Æthelflaed, dann hätte man sie einem Mann gegeben. So ist das Schicksal |142| der Frauen. Mit den Jahren lernte ich auch Frauen kennen, die ihm trotzten, aber Hild war wie ein Ochse, der an einem Feiertag
     das Joch vermisste.
    «Jetzt bist du frei», sagte ich.
    «Nein», sagte sie, «ich bin von dir abhängig.» Sie warf einen Blick auf Gisela, die gerade über etwas lachte, was ihr Bruder
     gesagt hatte. «Und du sorgst dich sehr darum, Uhtred, mich nicht zu beschämen.» Sie meinte, dass ich sie nicht demütigte,
     indem ich sie aufgab, um Gisela nachzusteigen, und das stimmte, aber nur gerade eben noch. Sie sah mein Gesicht und lachte.
     «In vieler Hinsicht», sagte sie, «bist du ein guter Christ.»
    «Bin ich das?»
    «Du versuchst, das Richtige zu tun, oder?» Sie lachte über meine entsetzte Miene. «Ich will, dass du mir etwas versprichst»,
     sagte sie.
    «Wenn ich es kann», erwiderte ich misstrauisch.
    «Versprich mir, nicht den Kopf des Heiligen Oswald zu stehlen, damit du auf deine acht Köpfe kommst.»
    Ich lachte und war erleichtert, dass das Versprechen nichts mit Gisela zu tun hatte. «Ich hatte es überlegt», gab ich zu.
    «Ich weiß, dass du das getan hast», sagte sie. «Aber es würde nicht gehen. Er ist zu alt. Und du würdest Eadred damit unglücklich
     machen.»
    «Und was ist daran falsch?»
    Sie beachtete diese Frage nicht. «Sieben sind genug», beharrte

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