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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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ein sächsisches Wort, und sie kannte es nicht.
    «Ein Schattenwandler», erklärte ich. «Ein Wesen, das in der Nacht umgeht.» Eine Eule rief ganz in der Nähe, und Giselas Finger
     schlossen sich unwillkürlich fester um meine.
    Unter einigen Buchen, durch die der Wind rauschte, blieben wir stehen. Zwischen den Blättern blitzte ab und zu der Widerschein
     eines Lagerfeuers auf. Ich legte ihr die Hand unters Kinn und sah zu ihr hinunter. Sie war groß, aber immer noch einen Kopf
     kleiner als ich. Sie ließ sich mustern, und als ich einen Finger sanft ihren langen Nasenrücken entlanggleiten ließ, schloss
     sie die Augen. «Ich   …», sagte ich und verstummte wieder.
    «Ja», sagte sie, als wüsste sie, was ich hatte sagen wollen.
    Ich zwang mich dazu, mich von ihr abzuwenden. «Ich kann Hild nicht unglücklich machen.»
    «Sie hat mir erzählt», sagte Gisela, «dass sie mit Pater Willibald nach Wessex zurückgegangen wäre, aber sie will noch warten,
     ob du Dunholm einnehmen kannst. Sie sagt, dafür betet sie, und wenn du es schaffst, wäre das ein Zeichen Gottes.»
    «Das hat sie gesagt?»
    «Sie hat gesagt, es wäre das Zeichen, dass sie zurück in ihren Konvent gehen muss. Das hat sie mir heute Abend erzählt.»
    Das stimmte vermutlich. Ich streichelte Giselas Gesicht. |162| «Dann sollten wir warten, bis Dunholm eingenommen ist», sagte ich, und es war nicht das, was ich eigentlich gern gesagt hätte.
    «Mein Bruder sagt, ich muss die Friedenskuh spielen», sagte sie bitter. Eine Friedenskuh war eine Frau, die in eine rivalisierende
     Familie verheiratet wurde, um für freundschaftliche Beziehungen zu sorgen, und bestimmt dachte Guthred an Ivarrs Sohn oder
     einen Schotten. «Aber ich werde keine Friedenskuh», sagte sie heftig. «Ich habe die Runenstäbe geworfen und kenne nun mein
     Schicksal.»
    «Was hast du erfahren?»
    «Ich werde zwei Söhne und eine Tochter haben.»
    «Gut», sagte ich.
    «Es werden deine Söhne sein», sagte sie aufsässig, «und deine Tochter.»
    Einen Moment lang erwiderte ich nichts. Mit einem Mal wirkte die Nacht wie durchsichtig. «Das haben dir die Runenstäbe gesagt?»,
     brachte ich schließlich heraus.
    «Sie haben noch nie gelogen», sagte sie ruhig. «Als Guthred gefangen genommen wurde, haben mir die Runenstäbe gesagt, dass
     er zurückkommen würde, und sie haben mir gesagt, dass mein Ehemann mit ihm ankommen würde. Und du bist gekommen.»
    «Aber er will dich zur Friedenskuh machen», sagte ich.
    «Dann musst du mich verschleppen», sagte sie, «auf die alte Art.» Die alte dänische Art, sich eine Braut zu nehmen, war, sie
     zu entführen. Man überfiel das Haus ihrer Familie, griff sie und brachte sie zur Heirat. Es wird manchmal immer noch so gemacht,
     aber in unseren sanfteren Zeiten folgt der Überfall normalerweise erst auf Verhandlungen der Familien, und die Braut hat Zeit,
     ihre Sachen zu packen, bevor die Reiter kommen.
    «Ich werde dich wegbringen», versprach ich ihr, und ich |163| wusste, dass ich damit für Ärger sorgen würde und dass Hild nichts getan hatte, um das zu verdienen, und dass sich Guthred
     hintergangen fühlen würde. Aber auch so hob ich mit einem Finger Giselas Kinn und küsste sie.
    Sie umschlang mich. Und dann ertönten Rufe. Ich hielt sie fest, und wir lauschten. Die Rufe kamen aus dem Lager, und ich erkannte
     durch die Bäume, wie Männer an den Feuern vorbei auf die Straße zuliefen. «Ärger», sagte ich, drückte ihre Hand und rannte
     mit ihr zum Kloster, wo Clapa und die Wachen mit gezogenen Schwertern standen. Ich schob Gisela zur Klostertür und zog Schlangenhauch
     aus der Schwertscheide.
    Aber es gab keinen Ärger. Nicht für uns jedenfalls. Bei den Neuankömmlingen, die vom Licht unserer Feuer angezogen worden
     waren, handelte es sich um drei Männer. Einer von ihnen war schwer verwundet, und sie brachten Neuigkeiten mit. Innerhalb
     kürzester Zeit war die kleine Klosterkirche hell erleuchtet, und die Priester und Mönche sangen Gottes Lob, und was die drei
     Männer aus dem Norden berichteten, verbreitete sich in Windeseile im gesamten Lager, sodass diejenigen, die gerade erst aufgewacht
     waren, zum Kloster liefen, um die Nachricht noch einmal zu hören und sich versichern zu lassen, dass sie auch stimmte.
    «Gott hat ein Wunder bewirkt!», rief Hrothweard in die Menge. Er war über eine Leiter auf das Dach des Klosters gestiegen.
     Es war dunkel, doch einige Leute hatten Fackeln mitgebracht, und in ihrem Licht

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