Die Herren des Nordens
zu klug. Aber wenn man es genau betrachtet, ist er genau das. Kjartans Land wirkt wie ein Schutzwall
für ihn, nicht wahr? Und so gelten die Gesetze von Eoferwic nicht über Dunholm hinaus.»
«Früher waren wir die Könige von Bebbanburg», sagte ich.
«Tatsächlich?» Das überraschte Guthred. «Könige von Northumbrien?»
«Von Bernicia», sagte ich. Diesen Namen hatte Guthred nie gehört. «Das war das ganze nördliche Northumbrien», sagte ich, «und
alles um Eoferwic war das Königreich von Deira.»
«Haben sie sich zusammengeschlossen?», fragte Guthred.
«Wir haben ihren letzten König umgebracht», sagte ich, «aber das ist schon vor sehr vielen Jahren geschehen. Bevor sich das
Christentum ausgebreitet hat.»
«Also habt Ihr hier Anspruch auf die Königswürde?», fragte er, und zu meinem Erstaunen klang Misstrauen aus seiner Stimme.
Ich starrte ihn an, und er wurde rot. «Aber |159| habt Ihr den Anspruch?», fragte er erneut und versuchte so zu klingen, als kümmere ihn meine Antwort nicht.
Ich lachte ihn aus. «Herr König», sagte ich, «wenn Ihr mich auf der Bebbanburg wieder einsetzt, werde ich das Knie vor Euch
beugen und Euch und Euren Erben lebenslange Treue schwören.»
«Erben!», sagte er fröhlich. «Hast du Osburh gesehen?»
«Ich habe Osburh gesehen», sagte ich. Sie war Egberts Nichte, ein Sachsenmädchen, und sie hatte im Palas gewohnt, als wir
Eoferwic besetzt hatten. Sie war vierzehn Jahre alt, dunkelhaarig und besaß ein pummeliges, hübsches Gesicht.
«Wenn ich sie heirate», fragte mich Guthred, «kann Hild dann ihre Begleiterin werden?»
«Fragt sie», sagte ich und drehte mich nach Hild um, die hinter uns lief. Ich hatte geglaubt, Hild würde vielleicht mit Pater
Willibald nach Wessex zurückkehren, aber sie hatte mir erklärt, sie sei zu einer Begegnung mit Alfred noch nicht bereit, und
das konnte ich sehr gut verstehen, also hatte ich sie nicht weiter gedrängt. «Ich vermute, es wäre eine Ehre für sie, die
Begleiterin Eurer Frau zu werden», erklärte ich Guthred.
Wir rasteten in der ersten Nacht bei Onhripum, wo Guthred, Eadred und die Schar der Geistlichen in einem kleinen Kloster unterkamen.
Unser Heer bestand jetzt aus fast sechshundert Männern, und nahezu die Hälfte von ihnen war beritten. Daher erhellten unsere
Lagerfeuer alle Felder rund um das Kloster. Als Anführer der Haustruppe lagerte ich am nächsten bei den Gebäuden, und meine
jungen Männer, inzwischen vierzig an der Zahl, die beim Plündern in Eoferwic fast alle ein Kettenhemd gefunden hatten, schliefen
dicht am Klostertor.
|160| Ich übernahm mit Clapa und zwei Sachsen die erste Wache. Sihtric war bei mir. Ich nannte ihn meinen Diener, aber er lernte
auch mit Schwert und Schild umzugehen, und ich vermutete, dass er in ein oder zwei Jahren einen guten Soldaten abgeben würde.
«Hast du die Köpfe sicher verstaut?», fragte ich ihn.
«Man riecht sie bis hierher!», jammerte Clapa.
«Sie riechen nicht schlechter als du, Clapa», gab ich zurück.
«Sie sind sicher aufbewahrt, Herr», sagte Sihtric.
«Ich sollte acht Köpfe haben», sagte ich und legte meine Hände um Sihtrics Hals. «Was für ein hübsches, mageres Hälschen,
Sihtric.»
«Aber ein sehr widerstandsfähiges Hälschen, Herr», sagte er.
In diesem Moment öffnete sich die Klostertür, und angetan mit einem schwarzen Umhang schlüpfte Gisela heraus. «Ihr solltet
schlafen, meine Dame», rügte ich sie.
«Ich kann nicht schlafen. Ich möchte ein bisschen gehen.» Sie schaute mich aufsässig an. Ihre Lippen waren leicht geöffnet,
und das Lagerfeuer ließ ihre Zähne glitzern und spiegelte sich in ihren großen Augen.
«Wo möchtet Ihr entlanggehen?», fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern, ohne ihren Blick von mir zu lösen, und ich dachte an Hild, die im Kloster schlief.
«Ich übertrage dir die Verantwortung, Clapa», sagte ich, «und wenn Ivarr kommt, dann bring den Bastard um.»
«Ja, Herr.»
Ich hörte die Wachen kichern, als wir die ersten Schritte getan hatten. Mit einem Knurren brachte ich sie zum Schweigen. Dann
führte ich Gisela zu den Bäumen östlich des Klosters, denn dort war es sehr dunkel. Sie nahm meine Hand. Sie sagte nichts,
es genügte ihr, einfach dicht |161| neben mir zu gehen. «Hast du keine Angst im Dunkeln?», fragte ich sie.
«Nicht mit dir.»
«Als Kind», sagte ich, «habe ich mich in einen Sceadugengan verwandelt.»
«Was ist ein Sceadugengan?» Es war
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