Die Herren des Nordens
dass du mir, bevor
wir von Wessex aufbrachen, gesagt hast, Northumbrien sei voller Feinde?»
|175| «Ich erinnere mich.»
«Und ich glaube, es sind sogar noch mehr, als du glaubst», sagte sie, «deshalb bleibe ich, bis ich weiß, dass du überleben
wirst.» Sie streckte die Hand aus und berührte meinen Arm. «Manchmal denke ich, du hast außer mir keinen einzigen Freund hier
oben. Also lass mich bleiben, bis ich weiß, dass du sicher bist.»
Ich lächelte sie an und berührte Schlangenhauchs Heft. «Ich bin sicher», sagte ich.
«Deine Überheblichkeit», sagte sie, «macht die Leute blind für dein ganzes freundliches Wesen.» Nach diesem Tadel richtete
sie ihren Blick nach vorn. «Was wirst du jetzt tun?», fragte sie.
«Meine Blutfehde beenden», sagte ich. «Deshalb bin ich hier.» Und das stimmte. Deshalb war ich in den Norden gezogen, ich
wollte Kjartan töten und Thyra befreien, aber wenn mir das gelänge, würde Dunholm Ivarr und Gisela Ivarrs Sohn gehören. Ich
fühlte mich betrogen, obwohl es in Wahrheit keinen Betrug gegeben hatte, denn Gisela war mir nie versprochen worden. Guthred
hatte die Freiheit, sie zu verheiraten, mit wem auch immer es ihm gefiel. «Oder vielleicht sollten wir einfach wegreiten»,
sagte ich bitter.
«Wohin?»
«Irgendwohin.»
«Zurück nach Wessex?»
«Nein!»
«Wohin dann?»
Nirgendwohin. Ich hatte Wessex verlassen und würde einzig zurückkehren, um meinen Hort zu holen, wenn ich erst einen sicheren
Platz hatte, an den ich ihn bringen konnte. Das Schicksal hatte mich mit festem Griff gepackt, und das Schicksal hatte mir
Feinde bestimmt. Überall.
|176| Wir überquerten den Wiire ein gutes Stück westlich von Dunholm an einer Furt und führten unsere Streitmacht zu einem Ort fünf
Meilen nördlich von Dunholm, den die Einheimischen Cuncacester nennen. Die Römer hatten hier eine Festung errichtet, deren
Mauern immer noch standen, obwohl sie kaum mehr darstellten als bröckelnde Wälle inmitten grüner Wiesen. Guthred verkündete,
dass unser Heer bei der zerfallenen Festung lagern sollte, und ich sagte, wir sollten weiter Richtung Süden bis nach Dunholm
ziehen. Wir stritten uns zum ersten Mal, weil er seine Meinung nicht ändern wollte. «Was hat es für einen Zweck, Herr», fragte
ich, «ein Heer zwei Stunden Fußmarsch von seinem Feind entfernt zu halten?»
«Eadred sagt, wir müssen hierbleiben.»
«Abt Eadred? Versteht er etwas davon, wie man eine Festung einnimmt?»
«Er hatte einen Traum», sagte Guthred.
«Einen Traum?»
«Sankt Cuthbert möchte, dass sein Schrein hier errichtet wird», sagte Guthred. «Genau dort.» Er deutete auf einen kleinen
Hügel, auf dem der Heilige im Sarg von betenden Mönchen umringt war.
Für mich ergab das keinen Sinn. Die Stelle hatte mit Ausnahme der Festungsruinen nichts Besonderes. Hügel, ein paar Bauernhäuser
und einen kleinen Fluss, alles war sehr gefällig, aber warum genau hier der rechte Ort sein sollte, um einen Heiligenschrein
zu bauen, ging über meinen Verstand. «Unsere Aufgabe, Herr», sagte ich, «ist es, Dunholm zu erobern. Das gelingt uns nicht,
indem wir hier eine Kirche errichten.»
«Aber Eadreds Träume haben sich immer als richtig erwiesen», sagte Guthred ernst, «und Sankt Cuthbert hat mich noch nie im
Stich gelassen.»
|177| Ich brachte weitere Einwände vor und konnte mich dennoch nicht durchsetzen. Sogar Ivarr unterstützte mich und erklärte Guthred,
dass wir die Streitmacht näher an Dunholm heranführen müssten, doch Abt Eadreds Traum hatte bestimmt, dass wir in Cuncacester
lagern mussten, und die Mönche begannen sofort, am Bau ihrer Kirche zu arbeiten. Die Hügelkuppe wurde eingeebnet, Bäume wurden
geschlagen, und Abt Eadred pflanzte Stangen auf, um anzuzeigen, wo die Mauern errichtet werden sollten. Er wollte ein Fundament
aus Steinen, und das bedeutete, dass ein Steinbruch gefunden werden musste oder besser noch ein Römergebäude, das eingerissen
werden konnte, aber es musste schon ein großes Gebäude sein, denn Eadred plante eine Kirche, deren Ausmaße die eines Königspalas
übertrafen.
Und am nächsten Tag, einem Spätsommertag, über dessen Himmel einzelne Wolken zogen, ritten wir südwärts nach Dunholm. Wir
wollten Kjartan herausfordern und auszukundschaften, wie stark die Festung war.
Einhundertundfünfzig Männer machten sich auf den kurzen Weg. Guthred ritt zwischen Ivarr und seinem Sohn, dann folgten Ulf
und ich.
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