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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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war, hatte ich Sverris Zeichen auf dem Arm.
     Dort ist es heute noch.
    Fast hätte das Sklavenzeichen nicht mehr heilen können, denn wir alle hatten in dieser Nacht den Tod vor Augen. Unvermittelt
     setzte starker Wind ein und verwandelte den Fluss in ein schäumendes Gewoge, der
Trader
zerrte an seiner Ankerleine, und der Regen peitschte uns waagerecht ins Gesicht. Das Schiff bäumte sich auf und zitterte,
     und weil die Ebbe kam, drückten uns der Wind und die Strömung gefährlich nah ans Ufer, und der Anker, der vermutlich nichts
     weiter war als ein großer Steinring, der das Schiff nur durch sein Gewicht am Platz hielt, entwickelte immer mehr Zugkraft.
     «Ruder!», schrie Sverri, und ich glaubte, er wollte, dass wir gegen den Druck von Wind und Ebbe ruderten, doch er hieb das
     bebende Seil durch, das uns mit dem Anker verband, und der
Trader
bewegte sich mit einem Satz von der Stelle. «Rudert, ihr Bastarde!», rief Sverri. «Rudert!»
    «Rudert!», stimmte Hakka ein und zog uns seine Peitsche über. «Rudert!»
    «Wollt ihr weiterleben?», brüllte Sverri über den heulenden Wind. «Dann rudert!»
    Er steuerte uns auf das Meer hinaus. Auf dem Fluss wären wir ans Ufer getrieben worden, aber wir wären sicher gewesen, denn
     es kam die Ebbe, und mit der nächsten Flut |211| wären wir wieder aufs Wasser gekommen. Aber Sverris Schiff war voller Waren, und falls er stranden sollte, fürchtete er, von
     den finsteren Gestalten ausgeraubt zu werden, die in den Hütten von Gyruum hausten. Also nahm er es lieber in Kauf, auf See
     zu sterben, als an Land ermordet zu werden, und fuhr mit uns in eine grauenvolle Wirrnis aus Wind, Dunkelheit und Wasser.
     Nach der Flussmündung wollte er sich Richtung Norden halten und in Küstennähe einen sicheren Platz suchen, und das war kein
     schlechter Einfall, denn wir hätten im Windschatten des Landes liegen und den Sturm abwarten können. Aber er hatte nicht mit
     der Zugkraft der Ebbe gerechnet, und wir konnten rudern und uns in die Riemen legen, wie wir wollten, es gelang uns nicht,
     das Schiff an die Küste zurückzubringen. Stattdessen wurden wir aufs Meer hinausgetrieben und mussten aufhören zu rudern,
     die Ruderlöcher verschließen und anfangen, das Schiff auszuschöpfen. Die ganze Nacht schöpften wir Wasser aus dem Kielraum
     und schütteten es über Bord, und ich erinnere mich an die Ermüdung, an die Erschöpfung, die bis ins Knochenmark reichte, und
     an die Angst vor den weiten, dunklen Gewässern, die uns hochhoben und die Luft mit lautem Brausen erfüllten. Manchmal lagen
     wir breitseits auf den Wellen, und ich glaubte, nun würden wir unweigerlich kentern, und klammerte mich an eine Bank, während
     die Ruder durch das Schiff geschleudert wurden und das Wasser um meine Hüften strudelte. Aber irgendwie richtete sich der
Trader
immer wieder auf, und wir schöpften Wasser über Bord, und warum das Schiff nicht gesunken ist, werde ich nie verstehen.
    Als die Dämmerung kam, trieben wir mit einem halb vollgelaufenen Schiff in einer aufgewühlten, aber nicht mehr bedrohlichen
     See. Land war nicht in Sicht. Die Ketten hatten während der Nacht meine Knöchel blutig |212| gerieben, aber ich schöpfte immer noch Wasser. Niemand sonst rührte sich noch. Die restlichen Sklaven, von denen ich noch
     nicht einmal die Namen wusste, hingen auf den Bänken, und die Mannschaft hatte sich unter das Podest des Steuerrades gekauert,
     auf dem sich Sverri an das Steuerrad klammerte. Ich spürte, wie er mich mit seinen dunklen Augen beobachtete, während ich
     mit einem Kübel Wasser schöpfte und in den Ozean zurückschüttete. Ich wollte aufhören. Ich blutete, ich hatte Prellungen,
     und meine Kräfte erlahmten, aber ich wollte keine Schwäche zeigen. Einen Kübel um den anderen schleuderte ich hoch, meine
     Arme schmerzten, aus meinem Magen stieg ein bitterer Geschmack auf, und in meinen Augen brannte das Salz. Mir war elend, aber
     ich wollte nicht aufhören. Im Kielraum schwappte Erbrochenes, aber es war nicht von mir.
    Sverri brachte mich schließlich dazu aufzuhören. Er stieg zu mir herunter, schlug mir eine kurze Peitsche über die Schulter,
     und ich brach auf einer Bank zusammen. Bald darauf brachten uns zwei seiner Männer altbackenes Brot, das sich mit Meerwasser
     vollgesogen hatte, und einen Schlauch saures Bier. Niemand sprach ein Wort. Die Böen schlugen die Ledertaue an den kurzen
     Mast, die Wellen zischten am Schiffskörper entlang, der Wind war kalt,

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