Die Herren des Nordens
von Walrössern und Walknochen,
für die wir dann Bernstein und Entenfedern einhandelten. Wir fuhren mit Malz und Robbenhäuten, Pelzen und Salzfleisch, Eisenerz
und Fellen. In einer Felsenbucht verbrachten wir zwei Tage damit, Schieferplatten zu laden, die zu Wetzsteinen verarbeitet
werden würden, und später tauschte Sverri den Schiefer gegen Kämme aus Hirschhorn, dicke Taurollen aus Robbenhaut und ein
Dutzend schwere Bronzebarren, und mit all dem kehrten wir in den jütländischen Hafen Haithabu zurück. Dieser Handelshafen
war so groß, dass |223| es ein Sklavengelände gab, in das wir eingesperrt und von Speerträgern und hohen Mauern bewacht wurden.
Finan traf dort ein paar irische Landsmänner, und ich sprach mit einem Sachsen, der an der Küste Ostangliens von einem Dänen
gefangen genommen worden war. König Guthrum, so berichtete der Sachse, war nach Ostanglien zurückgekehrt, wo er sich Æthelstan
nannte und Kirchen erbaute. Alfred war, soweit er wusste, noch am Leben. Die Dänen von Ostanglien hatten Wessex nicht angegriffen,
dennoch hatte er gehört, dass Alfred an der Grenze Befestigungsanlagen errichten ließ. Von Alfreds dänischen Geiseln wusste
er nichts und konnte mir deshalb nicht sagen, ob Ragnar freigelassen worden war, auch von Guthred oder aus Northumbrien wusste
der Mann nichts zu berichten. Also stellte ich mich in die Mitte des Sklavengeländes und rief: «Ist hier irgendwer aus Northumbrien?»
Ich erntete von den Männern nur verständnislose Blicke. «Northumbrien?», rief ich erneut, und dieses Mal antwortete mir eine
Frau von der anderen Seite der Holzpalisade, die den Bereich der Männer und der Frauen trennte. Die Männer drängten sich an
der Palisade zusammen und spähten durch die Lücken zu den Frauen hinüber, und ich schob zwei von ihnen weg. «Kommst du aus
Northumbrien?», fragte ich die Frau, die mir geantwortet hatte.
«Aus Onhripum», erklärte sie. Sie war eine Sächsin, fünfzehn Jahre alt und eine Gerberstochter. Ihr Vater hatte Graf Ivarr
Geld geschuldet, und um die Schuld auszugleichen, hatte Ivarr das Mädchen genommen und es an Kjartan verkauft.
Zuerst glaubte ich, falsch gehört zu haben. «An Kjartan?», fragte ich.
«An Kjartan», sagte sie ausdruckslos, «der mir Gewalt angetan und mich dann diesen Bastarden verkauft hat.»
|224| «Kjartan lebt?», erkundigte ich mich erstaunt.
«Er lebt», sagte sie.
«Aber er wurde doch belagert», widersprach ich.
«Nicht während ich dort war», sagte sie.
«Und Sven? Sein Sohn?»
«Der hat mich auch vergewaltigt», sagte sie.
Später, viel später, konnte ich mir die ganze Geschichte zusammenreimen. Guthred und Ivarr hatten, unterstützt von meinem
Onkel Ælfric, versucht, Kjartan auszuhungern, doch der Winter wurde hart, in ihrem Heer brach eine Krankheit aus, und Kjartan
hatte angeboten, ihnen Abgaben zu zahlen. Die drei hatten sein Silber angenommen. Guthred hatte Kjartan außerdem das Versprechen
abgerungen, keine Geistlichen mehr anzugreifen, und eine Weile lang war dieses Versprechen auch eingehalten worden, aber die
Kirche war zu reich und Kjartan zu habgierig, und so waren noch vor Ablauf eines Jahres wieder Mönche versklavt oder getötet
worden. Die jährliche Abgabe an Silber, die Guthred, Ivarr und Ælfric von Kjartan zugesagt worden war, wurde einmal und dann
nie wieder bezahlt. Also hatte sich nichts geändert. Ein paar Monate lang hatte sich Kjartan unterworfen, doch dann hatte
er die Stärke seiner Gegner eingeschätzt und erkannt, wie schwach sie waren. Die Gerberstochter aus Onhripum wusste nichts
über Gisela, hatte sogar nie von ihr gehört, und ich dachte, sie sei vielleicht gestorben, und an diesem Abend erfuhr ich,
was Verzweiflung ist. Ich weinte. Ich erinnerte mich an Hild und fragte mich, was aus ihr geworden sein mochte, und ich hatte
Angst um sie, und ich erinnerte mich auch an diesen einen Abend mit Gisela, an dem ich sie unter den Buchen geküsst hatte,
und ich glaubte, all meine Träume seien hoffnungslos geworden, und deshalb weinte ich.
Ich hatte in Wessex eine Frau geheiratet und wusste |225| nicht, wie es ihr ging, und, wenn ich ehrlich sein soll, kümmerte es mich auch nicht. Ich hatte meinen kleinen Sohn an den
Tod verloren. Ich hatte Iseult an den Tod verloren. Ich hatte Hild verloren, ich hatte meine Hoffnung auf Gisela verloren,
und an diesem Abend überschwemmte mich das Selbstmitleid. So saß ich in der Hütte,
Weitere Kostenlose Bücher