Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
dass er von Anfang an die richtigen Worte fand. Hoffentlich hatten die Zuhörer genug Geduld, um sich die logische Herleitung in Ruhe anzuhören und dann auch zu verstehen. »Einige gelehrte Doktoren haben sich sehr ausführlich mit Verletzungen auseinandergesetzt, wie sie bei Stürzen vorkommen. Und sie schrieben auch darüber, wie man sie erkennen und unterscheiden kann. Leider habe ich hier keine solche Beschreibung in einem Buch. Aber ich hoffe, es gut genug erklären zu können.«
Langsam ging er auf seine gespannten Zuhörer zu. »Erinnert Ihr Euch noch an Eure Kinderzeit? Wenn Ihr gespielt habt? Vielleicht beim Fangen. Ab und zu stolpert man und fällt hin. Wo habt Ihr Euch dann verletzt?«
Der Bischof zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Ich habe mir oft genug die Knie aufgeschlagen.«
»Ja genau. Und was war mit Euren Händen?«
Alle schauten sich fragend an. Der Dompropst Simon stand von seinem Stuhl auf. Er beugte sich vor, als wolle er sich fallen lassen, und hob dabei die Arme. »Ah, ich weiß, was Ihr meint, junger Freund. Wenn man fällt, versucht man, sich mit den Händen abzustützen. Na sicher! Ich hab’ mir früher oftmals die Handballen aufgerissen. Und du, Otto, hast dir dabei schon einmal den linken Daumen gebrochen. Wenn der tote Amtmann Wiegand keine Schrammen an den Händen hatte, ist das sehr eigenartig. Als hätte er sich nicht abgestützt.«
Der Möllenbecker verneigte sich zustimmend in Richtung des Geistlichen. »Ein Medikus hätte es nicht treffender sagen können. Aber wir haben noch etwas Unerklärliches. Wie unser lieber Pater sagte, war der tödliche Schlag genau oben auf dem Kopf. Genau diese Tatsache bereitet mir Probleme.«
»Warum?«, unterbrach der Bischof, »ich finde das überhaupt nicht merkwürdig. Der Mann fiel vom Pferd, kam mit dem Hinterkopf zuerst auf und zertrümmerte sich die Stelle.«
»Verletzungen von Stürzen sind so gut wie unmöglich an allen Stellen oberhalb von Stirn und Ohren. Man kann sich ganz einfach merken: Alles, was ein Hut bedecken könnte, kann keine Sturzverletzung sein.«
Bischof Otto war aufgesprungen. »Moment! Junger Herr, Ihr vergesst, dass der Mann wahrscheinlich auf einem Pferd saß.«
»Seid Ihr schon einmal von einem Pferd gefallen? Seid Ihr dabei stocksteif heruntergefallen? Wie wir vorhin schon festgestellt haben, versucht man auch bei einem einfachen Fall, sich sofort abzustützen. Und bei einem Sturz aus so großer Höhe erst recht.«
»Aber es ist nicht schlüssig«, kam es ärgerlich.
»Dann möchte ich auf den letzten Punkt hinweisen. Wie viele Kopfwunden hatte der Tote? Wie Pater Anno sagte, genau zwei. Den tödlichen Schlag oben auf dem Kopf und eine Wunde an der Schläfe. Mit dieser lag er auch auf dem Boden im Dreck. Das ist die eigentliche Verletzung durch den Sturz. Wenn ich reiten würde und gegen einen Ast käme, hätte ich die Wunde im Gesicht oder an der Stirn. Aber niemals an der Seite. Und wie soll ich von einem Sturz zwei Verletzungen an unterschiedlichen Stellen des Kopfes bekommen? Dann müsste ich schon einen Abhang hinunterfallen und mehrfach aufschlagen.«
Stille im Raum. Einige schauten verlegen zur Seite, andere grübelten noch. Plötzlich schien es sonnenklar zu sein, dass der Amtmann Wiegand erschlagen worden war. Es konnte kein Unfall gewesen sein. Aber woher sollte man das wissen, wenn man sich mit Stürzen und Verletzungen nicht auskannte? Wozu gab es den Bader? Der hätte es wissen können.
Ludolf betrachtete mit einem ironischen Lächeln die Verwirrung der hohen Herren. Er blickte zu Agnes hinüber. Sie war genauso amüsiert. Sie blinzelte ihm zu.
Um die Leute nicht weiter auf die Folter zu spannen, erzählte Ludolf den Hergang des Geschehens so, wie er sich zum jetzigen Augenblick darstellte. Josef Resenbach hatte durch falsche Abrechnungen in die eigene Tasche gewirtschaftet, ohne dass es über die Jahre irgendjemandem aufgefallen war. Seine Sicherheit lag darin, dass die beiden Besitzer des Dorfes Neesen – die Gemeinschaft der Domherren und der Dompropst – nicht so gut zusammenarbeiteten, wie sie sollten. Erst durch den neuen Vertrag nach der Schlichtung kam man zu dem Entschluss, eine Überprüfung durchzuführen, damit alle Beteiligten genau wussten, welche Höfe wem gehörten und mit wie vielen Abgaben man rechnen konnte. Dem Amtmann der Vogtei Heinrich Wiegand wurde diese Aufgabe übertragen, da er von allen Seiten respektiert wurde. Er kam Josef Resenbach auf die Schliche und
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