Die Herren von Everon
fortfuhr, „ich glaube, daß es einen Ausweg gibt. Ich glaube, daß die Menschen etwas Besseres verdienen als das Elend, in das man sie auf der Erde gebracht hat. Wenn wir sie nur lange genug am Leben halten können, dann werden sie eine Möglichkeit finden, mehr zu sein als selbstsüchtige Tiere in Kleidern. Das ist meine wirkliche Aufgabe. Ich tue, was ich kann, um bis zu diesem Tag die Dinge am Laufen zu halten.“
„Und was tust du?“ fragte Jef. „Und was hat das alles mit mir zu tun – oder mit Jarji?“
„Ein geteiltes Geheimnis“, verkündete Martin mit seinem gelegentlichen sparsamen Grinsen, „ist kein Geheimnis mehr. Du mußt dich mit der Tatsache zufrieden geben, daß ich dein Freund bin.“
„Trotzdem …“ begann Jef und wurde unterbrochen, weil Mikey mit seinem dicken Kopf wieder gegen seine Schulter schubste. „Mikey – nicht jetzt!“
Jef drehte sich um und empfing plötzlich eine starke Gefühlswelle von dem Maolot, ebenso deutlich wie seine Wahrnehmungen, die er während des langen Rittes und des Wisenttriebes zu empfangen gelernt hatte.
„Was ist?“ fragte Jarji scharf.
„Ich glaube, er möchte, daß ich diesen Ort wieder verlassen.“ Jef sah immer noch zu Mikey hin. „Nein, Mikey. Nicht jetzt. Morgen vielleicht.“
Mikeys geschlossene Augen bohrten sich genau in Jefs Gesicht. Die von ihm ausstrahlende Gefühlswoge intensivierte sich.
„Morgen!“ sagte Jef laut zu ihm. „Ich bin nach unserm letzten Gewaltmarsch gerade erst wieder zu mir gekommen. Ich muß mich noch ausruhen, ich muß essen …“
Er brach ab und blickte ringsum. Es war später Nachmittag, und das Blau des Himmels stumpfte im Osten zu Grau ab.
„Mikey, ich muß essen und mich ausruhen.“
Jef war sich gar nicht sicher, wie er es fertigbrachte, präzise Informationen aus dem emotionalen Fluß herauszulesen, den er von Mikey empfing. Aber er hatte den sehr deutlichen Eindruck, daß Mikey nicht nur zu sofortigem Aufbruch drängte, sondern daß es auch Gründe dafür gab, Jef auf keinen Fall etwas essen zu lassen.
„Warum nicht?“
Er erhielt keine Erklärung, nur ein neues, überwältigendes Drängen zum Aufbruch, und zwar ohne gegessen zu haben.
„Er möchte, daß ich gleich aufbreche.“ Jef drehte sich hilflos zu Jarji und Martin um. Sie sahen ihn lange schweigend an, und dann sprach Jarji.
„Und was willst du tun?“
Jef öffnete den Mund, holte tief Atem und schüttelte den Kopf.
„Ich weiß es nicht – wirklich nicht.“ Langsam stellte er sich auf die Füße, denn Mikey stand auch auf. „Ich kann ihn nicht im Stich lassen. Aus irgendeinem Grund ist es ihm wichtiger als alles andere. Ich weiß nicht warum – aber ich muß gehen.“
„Warte eine Minute.“
Jarji trat an den Haufen aus Vorräten und Ausrüstungsgegenständen, der ein kleines Stück vom Feuer entfernt lag. „Ich packe ein paar Lebensmittel für dich zusammen.“
„Keine Lebensmittel – auch da weiß ich nicht, warum“, lehnte Jef ab. „Mikey tut, als handele es sich um Leben oder Tod. Es tut mir leid. Jedenfalls danke.“
Steif kletterte er dem wartenden Mikey auf den Rücken. Jarji war stehengeblieben und hatte sich halb zu ihm umgedreht. Ihr Gesicht war hart.
„Bist du sicher, daß dein Gehirn richtig arbeitet?“ wollte sie wissen.
„Ich bin sicher.“ Jef saß jetzt oben. „Es tut mir wirklich leid, Jarji. Ich muß aber einfach mit ihm gehen, ganz gleich, wie verrückt das zu sein scheint. Es ist nicht nur so, daß ich es ihm nach all diesen Jahren schuldig bin. Nach diesem Ritt, von dem ich euch erzählt habe, weiß ich, daß er seine Gründe für das hat, was er von mir verlangt. Ich kenne diese Gründe nicht, aber ich weiß genau, daß es gute Gründe sind.“
Jef blickte von ihr zu Martin.
„Vielleicht seht ihr mich wieder, bevor ihr es erwartet.“ Er versuchte zu grinsen.
„Hoffen wir das Beste“, sagte Jarji.
„Es wird schon gutgehen“, meinte Martin. „Ich habe das Gefühl, daß du deinem Mikey vertrauen kannst.“
Als seien diese Worte für ihn ein Signal gewesen, machte Mikey kehrt und lief durch die Bäume davon. Er folgte dem Lauf des Baches, an dem sie Lager gemacht hatten, flußaufwärts. Er würde sie durch den Paß führen, hinter dem es in die Berge ging.
Jef konnte nichts anderes tun als sich festhalten. Nach einiger Zeit erkannte er, wie Mikey wieder dafür sorgte, daß sich seine Arme und Beine instinktiv anklammerten. Er war also nicht in Gefahr herabzufallen, und er
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