Die Herren von Everon
neuer Gedanke wie das nächste Werkstück auf einem Fließband, Mikey selbst hielt diese wortlose Kommunikation offenbar für ganz selbstverständlich. Und ein großer Teil dessen, was der eine dem anderen übermittel hatte, war immer eher eine Emotion als eine Mitteilung gewesen. Wenn Mikey sich über diese Fähigkeit nicht aufregte, war es kein Wunder, daß auch Jef ganz ruhig blieb.
Jetzt, wo er Wasser zum Trinken gefunden hatte, machte sich die allgemeine Erschöpfung bemerkbar, die eine Folge der nächtlichen Abenteuer und der körperlichen Anstrengung des Rittes auf einem Maolotrücken war. Für den Augenblick hatte sich sein Hunger in das Reich des Unwichtigen zurückgezogen. Die Morgensonne erwärmte ihn angenehm. Jef hatte das Ufer des Baches verlassen und sich auf einen Flecken Moosgras gesetzt, das ihm bemerkenswert weich vorkam. Er gähnte.
„Ich glaube, ich halte ein Schläfchen, Mikey. Später rede ich mit dir. In Ordnung?“
Während er das sagte, legte er sich schon hin und streckte sich aus. Das Moosgras fühlte sich an wie eine feine Sprungfedermatratze. Die Wärme der Morgensonne umschmeichelte ihn wie eine weiche Decke. Er drehte sich halb auf die Seite und versank in Schlaf. Gerade, als er hinüberdämmerte, zog ihm ein letzter Gedanke durch den Kopf: Es treffe sich gar zu gut, daß er in einem Augenblick vom Schlaf übermannt werde, wo er eigentlich hätte hungrig und gereizt sein sollen. Eine Sekunde lang kam ihm der Hauch eines Verdachtes, daß vielleicht – obwohl er sich nicht vorstellen konnte, wie – Mikey etwas damit zu tun hatte.
Dann war er eingeschlafen und träumte von einem Boot, in dem er über ein dunkelblaues Wasser an einen aufregenden, ersehnten Ort segelte.
Als er erwachte, hatte er das Gefühl, sehr lange geschlafen zu haben – und tatsächlich kündigte die Sonne längst nicht mehr den frühen Morgen, sondern schon den späten Nachmittag an. Jef fühlte sich behaglich verschlafen. Er blieb liegen und wartete ab, bis sein Bewußtsein voll zurückgekehrt war. Wie er sich zu erinnern glaubte, hatte er nach der Geschichte von der Bootsfahrt noch von vielen anderen Dingen geträumt. Er konnte es nicht ganz festhalten, um was es dabei gegangen war, aber er hatte das Gefühl, diese Dinge seien äußerst angenehm, tröstlich und aufmunternd gewesen, so etwa in der Art, als habe er den Weg zurück in das Heim seiner Kindheit und die Gesellschaft seiner engsten Angehörigen gefunden. So schön das gewesen war, es war außerdem – nur konnte er sich nicht erinnern, warum – sehr wichtig gewesen. Wichtig und voller Dinge, die er wissen mußte.
Jef begann sich zu erinnern – nicht genau an das, was er geträumt hatte, sondern ganz allgemein daran, um was es dabei gegangen war. Er hatte eifrig viele Dinge entdeckt, war in so mancher Beziehung zu den richtigen Schlüssen gelangt, und einige davon waren überraschend gewesen. Das war kein Wunder, denn obwohl er sie sich im Wachen nicht wieder ins Gedächtnis zurückrufen konnte, wußte er, daß sie für eine Reihe anderer Menschen erschreckend, wenn nicht abstoßend gewesen wären. Aber er hatte sie weder so noch so empfunden. Anscheinend hatte ihn seine lange Bekanntschaft mit Mikey darauf vorbereitet, diesen Dingen mit einem Minimum an Erschrecken gegenüberzutreten. Er hatte sie anders gefunden, das war alles.
Nun war er beinahe schon ganz wach. Er rollte sich auf die andere Seite und erblickte Mikey, der ihm, als habe er sich überhaupt nicht von der Stelle gerührt oder bewegt, seit Jef eingeschlafen war, seinen blinden Kopf wie beobachtend zukehrte.
Und natürlich, dachte Jef – klüger geworden durch seine Träume –, Mikey konnte ihn sehr gut sehen. Er brauchte seine eigenen Augen nicht. Er konnte jedes andere Paar Augen benutzen außer menschlichen und sogar einen Stein oder einen Holzstock benutzen, wenn diese sich für eine bestimmte Zeit an dem Ort befunden hatten, den er betrachten wollte. Diese Zeitdauer variierte von Objekt zu Objekt, aber im wesentlichen ging es darum, wieviel Minuten, Tage oder Jahre der Stock zum Verwittern, der Stein zum Einsinken in den Boden, auf dem er lag, benötigte … und so weiter. Das Konzept eines solchen Sehvermögens war gar nicht schwer zu begreifen; es lag nur außerhalb des normalen menschlichen Denkens.
„Hallo, Mikey“, sagte Jef.
Mikey erwiderte den Gruß, obwohl das, wie Jef erkannte, vom Standpunkt des Maolots aus völlig überflüssig war. Schließlich waren sie
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