Die Herrin der Kathedrale
Edda presste die Lippen zusammen.
»Das brennende Gefühl wird schnell vergehen, Schwester«, erklärte Hazecha und tupfte behutsam weiter. »Denkt Ihr, für Schwester Alwine und mich bleiben ein paar Hagebutten übrig?« Sie tränkte das Tuch erneut in der entzündungshemmenden Tinktur, um die Wunde zu reinigen. »Wenn ich Eure Hagebutten trockne, kann ich sie im Winter als Kraftaufguss an die Schwestern und Gäste austeilen.«
Edda nickte und beobachtete, wie Hazecha als Nächstes ein sauberes Tuch um die Wunde band. Als die Krankenschwester damit fertig war, schob sie sofort ihr Gewand über das verletzte Bein und prüfte dessen Sitz.
In diesem Moment betrat Schwester Lisette die Krankenkammer. »Besuch für Euch, Schwester Hazecha.«
»Wer verlangt nach mir?«, wollte Hazecha wissen und verschloss das leere Tinkturfläschchen, das sie danach – zur Erinnerung, es wieder aufzufüllen – ganz oben ins Regal stellte. Lisette zuckte fragend mit den Schultern. »Der Herr wollte Euch den Grund seines Besuches selbst nennen. Er wartet im Speisesaal auf Euch.«
»Sicherlich einer meiner Patienten, der erneut von seinem Leiden befallen wurde.« Hazecha ergriff ein Köfferchen mit Tinkturen und klemmte sich einige Leinentücher unter den Arm. Denn Wunden, die sich wenige Tage nach augenscheinlicher Heilung erneut entzündeten, waren nichts Ungewöhnliches. Bevor sie ging, drehte sie sich jedoch noch einmal zu Edda um. »Lasst mich morgen Euren Verband ansehen, Schwester. Und geht langsam, damit sich Euer Schienbein erholen kann.«
Edda nickte. »Vielen Dank, Schwester! Ihr habt wahrhaft zarte Hände.«
Hazecha beantwortete das Kompliment mit einem strahlenden Lächeln und machte sich dann auf den Weg in den Speisesaal – der inzwischen auch den Gästen des Klosters offenstand.
Der Besucher stand vor dem mittleren Fenster des Speisesaals mit dem Rücken zu Hazecha. Als er hörte, dass jemand eintrat, wandte er sich mit der hölzernen Gottesmutter in den Händen zu ihr um. »Na Hazechalein, was macht das Klosterleben?«
Hazecha glitten die Leintücher aus der Hand, das Tinkturenköfferchen fiel scheppernd zu Boden. »Esiko?« Sie hatte den Bruder zuletzt im Alter von sieben Jahren auf der Ballenstedter Burg gesehen und mit dem Gang ins Kloster die Hoffnung verbunden, ihn nie wiedersehen zu müssen. Inzwischen zählte sie vierzehn Jahre.
»Graf Esiko und Heerführer des Kaisers, bitteschön«, entgegnete Esiko grinsend. »Gerade zurück aus der heiligen Stadt. Gesegnet vom Heiligen Vater persönlich!« Augenscheinlich zärtlich streichelte Esiko die Holzstatue in seinen Händen. »Sind sie gut zu dir hier in Gernrode?«
»Sie sind gut zu mir«, brachte Hazecha mühsam hervor.
Esiko trat näher. »Deine Schwester Uta, erinnerst du dich noch an sie?«
Hazecha nickte zögerlich und wich bis an die Tür des Speisesaals zurück. Sein flackernder Blick, als er Uta erwähnt hatte, ängstigte sie ebenso, wie ihr die Erinnerungen an ihn den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohten.
»Sie ist als Hofdame im Gefolge des Kaisers«, fuhr er fort, »und die Nähe zum Herrscher unseres Landes scheint ihr zu Kopf zu steigen.« Bei diesen Worten legte er seinen linken Zeigefinger um den Hals der Gottesmutter und verdammte Uta, deren Selbstsicherheit sich keinesfalls auf die jüngere Schwester übertragen durfte. Unterwürfig wollte er sie sehen, und zwar beide! Doch dies konnte er nur erreichen, indem er ihnen jeglichen Kontakt untereinander verbot.
Hazecha starrte auf die Statue und fühlte einen Kloß in der Kehle. Ängstlich presste sie den Rücken gegen die Tür. »Was willst du hier?«
Mit gespielter Besorgnis trat er noch näher an sie heran: »Ich bin dein Bruder und sorge mich um dich, Hazechalein.« Er ließ die Statue krachend zu Boden fallen und packte Hazecha ruckartig beim Nacken. »Du wirst niemals, solange du lebst, Kontakt zu deiner Schwester aufnehmen! Ich verbiete es dir!«, schrie er, so dass seine Augen aus den Höhlen zu treten drohten.
Hazecha rang nach Luft. Wieder bedrängten sie die schrecklichen Bilder der Vergangenheit, während Esiko ihren zierlichen Körper schüttelte. »Hast du mich verstanden?«
Hazecha wandte röchelnd den Kopf ab. Aus Utas Briefen sprach so viel Zuneigung, und sie gaben ihr Kraft – darauf wollte sie nicht verzichten.
»Nun mach schon, Nonne, sag es!«, zischte er durch die Zähne hindurch und verstärkte den Druck um ihren Hals.
»Schließlich habe ich dir das hier
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