Die Herrin der Kathedrale
erkannte ganz oben einen Wehrgang hinter Zinnen. Frierend zog sie sich den Umhang enger um den Körper und schüttelte den Kopf.
Der Vogt erklärte daraufhin: »Der Turm wurde erst vergangenes Jahr fertiggestellt.« Sie stiegen die Außentreppe zum ersten Obergeschoss hinauf. »Der Turm hat vier Geschosse«, fuhr er fort. »Die unteren beiden stehen noch leer. Das dritte Geschoss bewohne ich. Dort bewahren wir auch sämtliche Rechnungsbücher auf.«
Über eine kleine Wendeltreppe im Inneren des Turmes erreichten sie schließlich die unbeheizte Kammer des Vogtes, der direkt auf einen Tisch mit Pergamenten zuschritt, von dem er ein sichtlich abgenutztes Schreiben zog und kurz studierte. »Mit Verlaub, Gräfin, als Burgherrin untersteht Euch das gesamte Personal für die Haushaltsführung.«
Während der Vogt in weiteren Pergamenten kramte, trat Uta vor das Fenster und öffnete es. Sie überblickte die winterliche Vorburg, sah vornehmlich Handwerkerhäuser und die beiden Gotteshäuser – die kleine Burgkirche und die Marien-Pfarrkirche – , die sie bereits vom Vercelli-Pergament und von der Trauzeremonie her kannte. Auf dem Platz um die beiden Gotteshäuser herum herrschte reges Treiben. Sie machte Knechte aus, die Baumstämme schleppten, sah zwei Waschfrauen Tröge durch den Schnee ziehen und erkannte mehrere Berittene, die auf die Zugbrücke des Haupthofs zustrebten. Aus der Schmiede kamen Schreie, und irgendwo wurde gehämmert und gesungen.
»Das Personal besteht aus zehn Dienern, einem Kammermädchen, fünf Leuten in der Küche sowie weiterem Gesinde für die Tiere und einer Amme«, zählte der Vogt auf. »Die Amme ist auf die Burg gekommen, als die Gattin unseres Markgrafen ihr Kind trug.«
Uta wandte sich vom Fenster ab und fragte den Vogt: »Der Markgraf hatte ein Kind?«
»Es wurde tot geboren. Bei seiner Geburt starb auch Gräfin Reglindis.«
Bei diesen Worten hatte Uta den oftmals melancholischen Blick des Hermann von Naumburg unwillkürlich vor Augen.
»Wie alt war die Gräfin, als sie starb?«
Der Vogt sah irritiert von seinen Pergamenten auf. »Reglindis stand zu dieser Zeit im achtzehnten Lebensjahr.«
Sie war damals beinahe vier Jahre jünger, als ich es heute bin, dachte Uta und sprach ein Gebet für die einstige Burgherrin.
»Gräfin, mit dem genannten Personal müsst Ihr die Bewirtung aller Gäste organisieren.« Der Vogt hielt inne, als er bemerkte, dass Uta in Gedanken versunken war, und fuhr erst fort, als die Augen der Burgherrin wieder auf ihm weilten.
»Auch für die Unterhaltung der Burgherren seid nun Ihr zuständig. Für die Führung des Haushalts, wartet, lasst mich noch einmal nachschauen …«, der Vogt kramte erneut in den Dokumenten, »hat der Markgraf im Jahresviertel zwanzig Silberlinge eingeplant. Es wäre ratsam, dass Ihr Euch regelmäßig einen Überblick über die Nahrungsbestände verschafft. Und nicht zuletzt sollte auch regelmäßig geprüft werden, ob das Personal gute Arbeit leistet.«
Während ihr die Kälte den Rücken hinaufkroch, fragte Uta:
»Wer hatte diese Funktion vor und nach dem Tod der Markgräfin bis zu diesem Tag inne?«
»Der Markgraf selbst«, erklärte der Vogt, »und in seiner Abwesenheit meine Wenigkeit.«
Uta nickte. »Und was genau wird Eure Aufgabe sein, wenn ich nun die Haushaltsführung übernehme?«
»Mir obliegt die Verwaltung der Ländereien.« Der Vogt zog ein Schreiben aus einem Stapel hervor und begann stolz vorzutragen: »Der Markgraf hat Besitzungen im Thüringischen Helmegau, in den Gauen Chutizi, Weita, Zurba, Husitin und im Milzener Land.« Dann sah er von seinem Schreiben auf.
»Es ist wichtig, dass Ihr Eure Ausgaben notiert. Das wünscht der Markgraf. Außerdem …« Der Vogt holte aus einer Holztruhe ein Wachstafelbuch und legte es auf den mit Pergamenten übersäten Tisch.
Uta schlug die Tafeln auf und ließ ihre Finger neugierig über das Wachs gleiten.
» … außerdem notiere ich auf den Papierseiten dieses Büchleins das Soll«, erklärte der Vogt und deutete auf einige zusammengebundene Pergamentblätter, die er neben die Wachstafel gelegt hatte.
Uta las auf ihnen Ortsnamen, denen wohl die jeweils zu leistenden Abgaben zugewiesen waren. So standen hinter dem Ort Wallhausen fünfzig Fische, dreißig Herbsthühner und zehn Laib Käse geschrieben.
»Auf der Wachstafelseite gegenüber notiere ich die tatsächlich erfolgten Zahlungen und kann somit die Außenstände errechnen«, fuhr der Vogt fort. »Wenn alle
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