Die Herrin der Kathedrale
Burgvogtes zu seiner Rechten stand. Hermann, der sich nur allzu gut an die vorausgegangenen langjährigen Streitigkeiten wegen der Sitzverlegung erinnerte, erklärte deshalb nun an die anwesenden Domherren gewandt: »Wir sollten uns in unserer Dankbarkeit stets vor Augen führen, dass dies aufgrund der anhaltenden Bedrohung der östlichen Marken auch die sicherste Lösung für Zeitz ist. Der Bistumssitz wird nun weiter westlich in den Schutz einer modernen Befestigung gestellt. Natürlich bleiben die Bistumsgrenzen von der Verlegung unberührt.«
Auf Bischof Hildewards Gesicht lag ein Lächeln. Nicht das Bistum war der eigentliche Gewinner dieser Sitzverlegung, sondern er. Denn das heilige Überbleibsel hatte sich ihn, und keinen anderen, als Beschützer ausgesucht. Und um dieses weiterhin in heiligster Intimität erfahren zu können, musste er dieser Zusammenkunft zügig ein Ende bereiten. »Tassilo von Enzingen, tretet vor mich!« Hildeward verbannte das verräterische Lächeln aus seinen Zügen und streckte die knochige Hand zum Ringkuss vor.
Der Angesprochene, ein Mann von mittlerem Wuchs und mit kahlem Schädel, tat wie ihm geheißen und ergriff kniend die ihm hingehaltene Hand. Seine Lippen deuteten eine Berührung des bischöflichen Fingerrings an. »Ich freue mich, Euer Exzellenz endlich persönlich kennenzulernen.«
»Ich heiße Euch ebenfalls willkommen, teurer Freund«, vervollständigte Hermann den Empfang und trat einen Schritt auf den Meister zu, der ihm während der vorangegangenen Planungsvorbereitungen zum Vertrauten geworden war.
»Tassilo von Enzingen«, wiederholte der Bischof und fixierte dabei erneut den Wandteppich, der hinter den Köpfen der unleidlichen Besucher seine Aufmerksamkeit fesselte. »Vergesst nicht, dass jede Entscheidung den Bau betreffend entweder von mir oder von Markgraf Hermann abgesegnet werden muss.« Meister Tassilo nickte, wie es von ihm erwartet wurde, auch wenn er bezweifelte, dass der Bischof sich der vielen kleinen Entscheidungen, die auf einer Großbaustelle jeden Tag getroffen werden mussten, bewusst war. Schon die ersten Entscheidungen wie die Zusammensetzung der Bruchsteine für die Fundamentauffüllung an den Seitenwänden, die Breite der Fundamentschächte, die Größe der Tragekörbe oder die Beschaffenheit der Bretter für die Transportwege würden sein fachliches Urteilsvermögen weit überfordern.
»Meister Tassilo hat an der Klosterkirche des heiligen Michael sein Meisterwissen erworben«, erklärte Hermann an die neuen Naumburger Domherren gewandt. »Ein wahres Wunderwerk und entsprechend der neuen Bauweise ganz aus Stein und nicht mehr aus Holz errichtet.«
Meister Tassilo wollte gerade zu einer ausführlichen Erklärung ansetzen, als der Bischof ihm mit einer harschen Geste zu schweigen bedeutete und in scharfem Ton fragte: »Neu?« Tassilo von Enzingen nickte. »Stein ist fester und zudem beständiger. Mit Stein lassen sich Häuser für die Ewigkeit bauen. Holz beginnt nach wenigen Jahren zu vergehen. Euer Gotteshaus wird wahrhaft fortschrittlich werden.«
»Fortschrittlich?«, fragte Bischof Hildeward und spürte, wie sich seine linke Hand zur Faust ballte. Ihm fiel der Siegelring an der Hand des Werkmeisters auf.
Meister Tassilo blickte irritiert zu Hermann.
»Was war Euer Meisterstück?«, wollte Hildeward wissen.
»Der Chor für den heiligen Michael«, antwortete Tassilo.
»Nur eine Klosterkirche?«, fragte Hildeward missbilligend.
»Euer Exzellenz«, setzte Hermann darauf zur Verteidigung seines Werkmeisters an, hielt dann aber inne, als Tassilo ihn mit einem Blick darum bat, für sich selbst sprechen zu dürfen.
»Wir reden von einem Chor mit Apsis, so wie wir ihn auch für Eure Bischofskirche bauen werden«, erklärte Tassilo und Hermann nickte. »Wir reden von einem Gotteshaus, mit dem ich hinreichend Erfahrung gesammelt habe, um die Geometrie des gebundenen Systems auch hier in Naumburg anzuwenden.«
Eine schlüssige Argumentation, fand Uta und nahm den Meister, der etwa in Hermanns Alter sein musste, unauffällig in Augenschein. Trotz der vornehmen Kleidung zeigten sein Gesicht, der Hals und sogar der kahle Schädel die sonnengebräunte Haut des arbeitenden Volkes.
Doch der Bischof ging nicht direkt auf die Worte des Werkmeisters ein. »Die Gemeinde ist der Leib Christi. Wer das für das Mahl nicht bedenkt, zieht Gottes Strafe auf sich. Deswegen sind so viele krank und schwach und sterben früh« 18 , sprach der Bischof und hob
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