Die Herrin der Kathedrale
die Hände beschwörend über den Kopf, wie Uta es schon einmal im Burgsaal gesehen hatte. Dabei fiel ihr der Ring am kleinen Finger seiner linken Hand auf, an dessen Ringkopf eine Vielzahl eiserner Stifte in rechtwinkliger Anordnung aufragte.
Hermann wagte einen weiteren Versuch, den Bischof von seinem Vorgehen zu überzeugen: »Die ersten Baupläne haben wir gemeinsam besprochen. Meister Tassilo wird sofort mit den Vermessungsarbeiten und Absteckungen beginnen. Mehrere tüchtige Männer hat er bereits von der Baustelle in Hildesheim mitgebracht.« Hermann stockte, als er den verbissenen Blick des neuen Bischofs nun auf Uta ruhen sah. »Exzellenz?«, fragte er mit fester Stimme.
Abrupt wandte der Bischof sich ab. »Pläne, sagtet Ihr?« Meister und Markgraf nickten im selben Augenblick – inzwischen hatten sie die ersten Pläne gemeinsam fertiggestellt.
Es war Meister Tassilo, der das Wort ergriff: »Ich habe Erfahrungen mit Bauplänen. Ihre Verwendung in dem von uns geplanten Ausmaß ist zwar noch nicht sehr verbreitet, aber sie vermindern Transport- und Ressourcenknappheiten und erlauben uns somit Engpässen vorzubeugen. Wir können mehrere Schritte gleichzeitig machen, ohne dass wir – wie es auf den meisten Baustellen üblich ist – auf die Fertigstellung des vorangehenden Bauabschnitts warten müssen.«
Uta erinnerte sich an das für ihre Augen verwirrende Linienspiel auf dem Leder und lächelte in sich hinein.
»Noch heute Abend werde ich Naumburg verlassen müssen, um meinem Bruder zu folgen«, wechselte Hermann das Thema. »Der Schutz Meißens benötigt unser aller Kraft. Und schließlich ist Meißen zuallererst meine Mark und unsere Heimat. Zudem muss der Feldzug gegen Mieszko für das nächste Jahr vorbereitet werden. Der Kaiser wünscht mich an seiner Seite.« Er schaute entschuldigend in Richtung seines Werkmeisters.
Jetzt verstand Uta auch, warum Hermann bereits Brünne und lederne Beinkleider trug.
Zielstrebig fuhr Hermann fort: »Meister Tassilo wird die Baustelle leiten und Euch über alle wichtigen Schritte auf dem Laufenden halten, Exzellenz.«
Bischof Hildeward schüttelte den Kopf.
»Ihr habt immer noch Bedenken, Euer Exzellenz?« Hermann bemerkte den ungebrochenen Argwohn im Gesicht des Geistlichen. »Ich kann Euer Exzellenz den Grundriss gern noch einmal erläutern.« Hermann wusste, dass er zwar das Ruder in der Hand hielt, der Bischof dem Papier nach jedoch der offizielle Bauherr war; nicht ein Markgraf, sondern ein Bischof baute Kathedralen. Ebenso formal korrekt hatte das neue Domkapitel die Finanzierung genehmigt. Die Münzen für den Bau stammten ausschließlich aus den Einkünften der markgräflichen Familie, was selten vorkam. Die meisten Gotteshäuser wurden über freiwillige Abgaben wie Almosen, Ablässe und Testamentsansprüche oder geborgte Gelder finanziert. Die gewählte Stiftungsfinanzierung besaß den unübersehbaren Vorteil, dass sie den Bau unabhängig von Abgaben machte, deren Höhe in Zeiten von Ernteausfällen und Krieg stark schwankte.
Uta sah, wie der Geistliche die Kiefer aufeinanderpresste und immer wieder den ungewöhnlichen Ring am kleinen Finger seiner linken Hand umfasste.
»Schaut her, Exzellenz«, bat Meister Tassilo und entrollte ein Pergament, das er zuvor in seinen Gürtel geklemmt getragen hatte. Er bedeutete den beiden Schreibern, die mit je einer Wachstafel in den Händen hinter dem Bischof auf Anweisung gewartet hatten, sein Pergament zu halten, und zeigte dann auf eine bestimmte Stelle. »Wir werden mit den Fundamenten des Ostchors beginnen.«
Uta trat vorsichtig neben die Herren und erblickte die feinen Linien, die sie von Hermanns Zeichnungen bereits kannte. Bischof Hildeward zog roh an den Armen seiner Schreiber, damit diese das Pergament näher an ihn heranhielten. Hermann hingegen beobachtete, wie Utas Blick neugierig den Linien folgte und sie Tassilos Erklärungen über die Mauerdicke und die geplante Deckenkonstruktion geradezu in sich aufsog.
»Meister Tassilo?«, fragte Hermann unvermittelt.
Der Meister ließ das Pergament sinken.
»Ich hatte bereits angedeutet, dass ich Euch weitere Unterstützung während der Zeit meiner Abwesenheit zukommen lassen möchte«, sagte Hermann.
Der Vogt machte einen Schritt auf den Werkmeister zu. »Mit Verlaub, lasst mich zu Ehren unserer heiligen Plantilla die Arbeit unterstützen«, bat er und rieb sich aufgeregt die Hände.
Hermann nickte und wandte sich dem Meister zu. »Natürlich steht
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