Die Herrin der Kathedrale
komplett aufgetaut und damit unberechenbar waren. Vorsichtig setzte sie einen Holzpantoffel vor den anderen.
»Uta!«, rief Erna, die mit den zwei Kindern auf Brust und Rücken gebunden, Speis und Trank an die Handwerker ausgab. Mit einem Lächeln deutete Uta auf ihre Schürze und winkte der Freundin zu. Dann hielt sie auf das äußere Tor zu, vor dem gerade zwei Karren mit Vorräten beladen wurden. Auf dem größeren Karren saß ein halbes Dutzend Brüder des Georgsklosters, deren Gewänder bis auf die Kopfbedeckung denen ihrer Mitreisenden auf dem zweiten Wagen ähnelten. Nachdem Uta den Brüdern auf dem vorderen Wagen eine sichere Reise gewünscht hatte, trat sie vor die Benediktinerinnen, die gerade dabei waren, Säcke voller Brot, Wintergemüse und getrockneter Kräutervorräte auf den Wagen zu laden.
»Schwestern«, begrüßte Uta sie herzlich und gleichzeitig besorgt.
Die Benediktinerinnen erwiderten ihren Gruß. »Gräfin«, sprachen sie im Chor und verbeugten sich.
»Ich wünsche Euch alles Gute für Euren Auftrag. Bestimmt vermögt Ihr die Krankenstation an der Ostgrenze unseres Reiches schnell aufzubauen. Aber seid vorsichtig.«
Das kaiserliche Aufgebot für den Feldzug gegen König Mieszko versammelte sich dieser Tage rechts der Elbe bei Magdeburg. Und da die Zahl der Verletzten und Geschändeten in den Grenzgebieten weiter anstieg, waren zu den Moritz-Benediktinerinnen in diesem Jahr noch freiwillige Brüder des Georgsklosters hinzugekommen. Die geplante Reise war vom vergangenen Herbst auf den Beginn des Frühjahrs verschoben worden, weil eine Pockenwelle die Dörfer um Naumburg herum heimgesucht hatte. Über den Winter waren die meisten der Erkrankten wieder genesen, und inzwischen verlangten die Menschen im Grenzgebiet vehement nach den heilenden Händen der Schwestern des Klosters, das unter dem Schutz des heiligen Plantilla-Schleiers wirkte. Auch der Kaiser gedachte, die heilkundigen Schwestern für sein Heer zu nutzen, das in absehbarer Zeit an die Ostgrenze aufbrechen würde.
»Schwestern, seid Ihr bereit?«, rief Pankratius, der Abt des Georgsklosters, aus dem vorderen Wagen und verbeugte sich noch einmal, als er im Gewimmel um die Wagen herum die Burgherrin ausmachte.
»Nein!«, schrie Schwester Kora aufgeregt. »Eine fehlt noch!« Da kam Schwester Margit auch schon schwer atmend angelaufen. »Es gab noch eine Kolik zu behandeln«, erklärte sie und stieg, Bündel und Psalmenbuch in der Hand, auf den Wagen. Entgegen der Ankündigung des Bischofs zu Beginn des vergangenen Jahres war dem Moritzkloster noch keine neue Äbtissin geschickt worden, so dass Margit mit der Leitung der Krankenstation und des Klosters mehr als genug zu tun hatte. Margit atmete tief durch. Immerhin halfen die Schwestern des Nachbarklosters nun während ihrer Abwesenheit die vielen großen und kleinen Verletzungen der Handwerker auf der Baustelle zu versorgen. Margit sah die Burgherrin vor dem Wagen stehen und verbeugte sich.
»Wie geht es Euch?«, fragte Margit, begutachtete die Körperformen der Burgherrin und lächelte zufrieden.
»Gut«, bestätigte Uta. »Und …«, sie trat noch näher an die Schwester heran, »ich bin Euch sehr zu Dank verpflichtet, wenn Ihr meinen Auftrag nicht vergesst.«
Margit nickte wissend. Noch im vergangenen Jahr war Uta von Ballenstedt bei ihr im Kloster erschienen und hatte ihr ihre Bitte vorgetragen. »Die Benediktinerbrüder«, die Schwester deutete auf den ersten Wagen, »wissen längst Bescheid, dass wir über Gernrode reisen werden.«
Uta ergriff die Hand der Schwester. »Bitte richtet Hazecha innige Grüße von mir aus. Und merkt Euch jedes Wort, das sie sagt.«
Margit drückte Utas Hand und stockte kurz beim Anblick der Schürze. »Ich verspreche es, Gräfin!«
»Gott sei auf all Euren Wegen mit Euch und beschütze Euch und die Pflegebedürftigen.« Mit diesen Worten trat Uta vom Karren zurück, worauf Schwester Erwina einen Choral anstimmte und die Wagen sich in Bewegung setzten. Uta winkte noch eine Weile, dann drehte sie sich um und betrachtete vom Tor aus die Baustelle, auf der Meister Tassilo bereits mithalf, für die Domherrenhäusern ein paar Holzbalken aufzurichten. Da das Holz inzwischen ernsthaft knapp wurde und es neuer Rodungsrechte bedurfte, hoffte Uta jeden Tag auf eine Nachricht Kaiserin Giselas. In Gedanken ging sie ihren Pergamentstapel durch. Zwei neue Briefpartner verlangten ihre Aufmerksamkeit. Ihr Bruder Wigbert hatte sich mit einigen Zeilen an sie
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