Die Herrin der Kathedrale
Burghaushalt kurz von Hermanns erster Gattin erzählt hatte. Sie schloss die Augen, legte ihren Kopf an seine Schulter und lauschte seinen Worten. Hermann küsste ihre grüne Spange und erzählte weiter: »Dann trug sie mein Kind unter dem Herzen und starb bei der Niederkunft.«
Uta spürte, wie Hermann sie fester an sich drückte.
»Sie war so lebensfroh und unschuldig und brachte so viel Licht in unsere düsteren Mauern. Ich würde es nicht ertragen, wenn dich das gleiche Schicksal ereilte.«
Ohne sich aus seiner Umarmung zu lösen, wandte Uta sich zu ihm um. »Du hast Angst, dass ich sterbe?«
Hermann nickte betroffen. »Dass ich dich verliere.«
Daraufhin schloss sie die Augen und führte ihren Mund ganz nahe vor seinen, bis sie seinen Atem spürte. Sie küsste ihn vorsichtig, als seien seine Lippen zerbrechlich, und spürte ein Kribbeln, als seine Zungenspitze ihre Unterlippe berührte.
Sie hatte noch nie zuvor einen Mann geküsst und war berauscht von der Intensität ihrer Gefühle. Sie genoss es und erwiderte sein Verlangen, indem sie ihre Hände über seine Oberarme hinauf zu seinem Hals gleiten ließ.
Während sie vorsichtig Zärtlichkeiten austauschten, war die Feuerstelle weiter heruntergebrannt. Behutsam löste Hermann die Umarmung und bedeutete Uta, wieder auf dem Baumstamm vor der Feuerstelle Platz zu nehmen. Bedächtig legte er Holz nach, dann sagte er wie nebenbei: »Ich möchte dich nicht weiter in Verlegenheit bringen.« Sein Blick hielt dem ihren nur kurz stand.
In Verlegenheit bringen? Uta versuchte, seinen Blick wieder einzufangen.
Doch da fügte Hermann schon erklärend hinzu: »Du bist eine verheiratete Frau, und auf Ehebruch steht der Tod. Dieser Gefahr möchte ich dich nicht aussetzen, auch wenn ich mir nichts mehr wünsche als …« Ihm brach die Stimme – noch nie zuvor hatte er eine Frau so sehr begehrt, allein schon ihre Küsse … doch es durfte nicht sein, auch wenn es ihn dabei innerlich schier zerriss.
Unweigerlich verschränkte Uta ihre Arme hinter dem Rücken. Seit der Vater ihr nach dem Eklat im Ballenstedter Buchenforst vorgeworfen hatte, eine Sünderin zu sein, hatte sie stets alles unternommen, um diesen Verdacht nie mehr auf sich zu ziehen. Und dennoch verspürte sie diesen unbändigen Drang zurück in seine Arme.
Aufgeregt begann sie in Gedanken das Protokoll des einstigen Paderborner Hoftags zu überfliegen, gemäß dem Oda von Wandersleben des Ehebruchs für schuldig befunden worden war. Nicht eines Kusses oder einer Umarmung wegen, entsann sich Uta, sondern weil sie außerhalb ihrer Ehe die geschlechtliche Vereinigung vollzogen hatte.
»Eine Umarmung zwischen zwei einander verbundenen Menschen ist keine Sünde«, erklärte sie daraufhin. »Nur wohltuend, vielleicht sogar heilend, meint Ihr nicht?«, fügte sie mit einem verträumten Blick ins Feuer und dann zu Hermann hinzu.
Ein Lächeln huschte über Hermanns Gesicht, und er setzte sich wieder neben sie. Ohne seine Antwort abzuwarten, legte Uta den Kopf an seine Schulter. Sie schloss die Augen und träumte sich noch enger an seinen Körper heran und in seine Gedanken hinein. Träume konnten ebenfalls keine Sünde sein.
Hermann wiederum legte den Arm um sie und sog erneut ihren Duft ein. Seine überbordenden Gefühle für diese Frau, die ihn auf so vielfältige Weise berührte, zurückzuhalten, kostete ihn mehr Kraft, als es die zurückliegenden Feldzüge ins polnische Grenzgebiet in der Summe getan hatten.
Derart aneinandergeschmiegt verharrten sie, bis die Hähne bei Tagesanbruch zu krähen begannen. Als die Geschäftigkeit auf dem Bauernhof einsetzte, erhoben sie sich, lächelten sich vertraut zu und gingen wortlos zurück ins Haus. Gemeinsam aßen sie mit Arnold einen Morgenbrei und einige der Fleischreste vom Vorabend, bedankten sich danach bei der Bauernfamilie und entlohnten sie für ihre Gastfreundschaft.
»Wir sollten weiter!«, sagte Hermann, tätschelte seine Pferde und saß auf dem vordersten auf. Dabei blickte er wehmütig zu der kargen Scheune zurück und dann zu Uta, die im Begriff war, ihr Bündel am Sattel ihrer Stute zu befestigen. Arnold war inzwischen von seiner Erkältung genesen und legte trotz der anhaltend matschigen Wege ein mächtiges Tempo vor. Am zweiten Tag ihrer Rückreise kamen sie bis zu einem schmalen See, der sich an die letzten Ausläufer des unteren Harzes schmiegte. Das dortige Kloster bot ihnen eine Übernachtung. Der Abt, der vom Schleier der heiligen Plantilla gehört
Weitere Kostenlose Bücher