Die Herrin der Kathedrale
Öffentlichkeit wieder förmlich ansprechen zu müssen.
Tassilo schmunzelte und ergriff zwei Zeichnungen, die er näher begutachten wollte.
Als Hermann das Rascheln der Pergamente vom nahen Schreibtisch wahrnahm, räusperte er sich. »Wir wollten die Decke des Langhauses besprechen«, eröffnete er die Zusammenkunft an Meister Tassilo gewandt, der inzwischen in eine der Zeichnungen vertieft war.
»Meister?«, sprach Hermann ihn erneut an und trat, als dieser immer noch nicht reagierte, zusammen mit Uta vor dessen Tisch.
Tassilo schaute auf und drehte die Zeichnung zu ihnen um.
»Ich bin vielleicht auf ein Problem gestoßen.«
Wie auf ein Stichwort hin betrat Bischof Hildeward in diesem Moment die Turmkammer.
»Guten Morgen, Exzellenz«, begrüßte ihn Hermann freundlich. »So früh am Morgen schon unterwegs?«
»Guten Morgen, Markgraf«, erwiderte der Angesprochene. Tassilo und Uta bedachte er mit einem knappen Nicken. »Ihr spracht von Problemen?«
Unschlüssig wiegte Tassilo den Kopf. »Für das Dach des Ostchores arbeiten wir mit Bindern«, erklärte er und begab sich zu Hermann und Uta vor den Schreibtisch. »Binder werden die tragenden Teile einer Dachkonstruktion genannt – in unserem Fall also eine aus einem Tragbalken und zwei Sparrenbalken bestehende Dreiecksform«, fügte er für den Bischof hinzu. »Wir hatten uns einst für einen größeren Abstand zwischen den Bindern entschieden – weil wir so Holz und auch Arbeitskraft einsparen konnten. Doch da Schnee, wie ich jüngst von der Baustelle in Speyer habe verlauten hören, schwerer wiegen kann als bisher angenommen, bin ich zu der Ansicht gelangt, dass wir das Dach über dem Chor noch stabiler bauen müssen. Der Schnee könnte in harten Wintern die Dachlast um ein Vielfaches erhöhen.«
»Dann seid Ihr dabei, das Dach des Ostchores gefährlich instabil zu bauen, Meister!«, stellte Hildeward fest. »Die Menschen meiner Diözese könnten womöglich beim Gebet erschlagen werden!«
»Wir werden es zusätzlich verstärken müssen, bevor der nächste Schnee fällt«, versuchte Hermann, den Bischof zu besänftigen.
Dieser jedoch hob beschwörend die Hände, als müsse er sich bereits hier und jetzt vor dem Einsturz des Daches schützen.
»Der Schnee kam im vergangenen Jahr schon kurz nach dem Allerheiligenfest. In kaum dreißig Tagen könnte es also wieder so weit sein! Wie wollt Ihr den Dachstuhl so schnell umbauen, dass er sicher ist?«
»Wir arbeiten an einer Lösung, Exzellenz«, redete nun auch Tassilo auf den aufgeregten Geistlichen ein. »Wir werden die Dachkonstruktion verstärken, indem wir zwischen die bereits vorhandenen Binder zusätzlich noch ein paar weitere setzen, was natürlich bedeutet, dass wir mehr Holz und mehr Arbeitskräfte benötigen.«
»Und mehr Geld!«, bemerkte Hildeward spitz. »Da wird es in der Kasse knapp werden!«
»Das ist wahrlich ein Problem«, entgegnete Hermann. »Denn Geld für weitere Arbeiter haben wir derzeit nicht. Fünfhundert Leute sind die Obergrenze, alles, was über diese Anzahl hinausgeht, können wir nicht bezahlen. Die Verpflegung des Heeres, das von Allerheiligen bis zum Fest von Christi Geburt hier weilt, und der Besuch des Kaisers kosten uns zusätzlich.« Besorgt trat er hinter sein Pult. »Zudem hat seine kaiserliche Hoheit noch nicht auf meine Anfrage, uns das Marktrecht zu verleihen und weitere Kaufleute mit Zins- und Handelsfreiheit nach Naumburg holen zu dürfen, reagiert. Unsere Planung geht jedoch mit Beginn des kommenden Jahres von nicht unwesentlichen Einnahmen durch das Abhalten eines Marktes aus.«
Da meldete Uta sich zu Wort. »Sofern wir noch mehr Binder einbauen, wird dadurch der gesamte Dachstuhl schwerer. Der Kniestock wird deshalb nachträglich breiter gemauert werden müssen, um die zusätzliche Last tragen zu können. Bisher zeigen die Wände in Höhe des Traufgesimses eine Stärke von vier Fuß. Wir müssten mindestens einen weiteren Fuß nachmauern. Auch das kostet zusätzlich«, endete sie mit unsicherer Stimme – sie wollte die Probleme nicht noch verschlimmern.
»Ihr habt recht.« Obwohl die Kosten immer weiter anstiegen, lächelte Hermann hingerissen. An Tagen wie diesen, an denen sie mit ihren wertvollen Hinweisen und ausgewogenen Vorschlägen ihre Dreiergruppe vervollständigte, fragte er sich, wie er seit ihrem Kuss nur jemals davon hatte Abstand nehmen können, sie darüber hinaus zu begehren.
Tassilo nickte bedächtig und ergänzte dann: »Dies wiederum
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