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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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zurückzugeben beabsichtige, in dem ich sie erhalten habe.« Die Äbtissin schlug die ersten Seiten auf. »Gebt mir zuerst den Pinsel«, wandte sie sich an Radegunde. Die Angesprochene griff nach dem gewünschten Utensil unter ihrem Arm und reichte es Hathui.
    »Streicht mit dem Pinsel den Staub von den Seiten. Flecken entfernt Ihr vorsichtig mit einem feuchten Tuch«, erklärte sie.
    »Bei den besonders dünnen Pergamenten müsst Ihr sehr behutsam mit dem Messer vorgehen. Sie können leicht brechen. Zur Trocknung bringt sie in die Kammer neben der Küche, dort ist es immer warm. Ich werde die Knechte anweisen, mehrere Tafeln dort aufzustellen, damit Ihr die Pergamente darauf ablegen könnt. Habt Ihr alles verstanden?«
    Radegunde nickte verunsichert.
    »Schön«, die Äbtissin schlug das Buch vor sich zu. »Und nun zu Euch, Schwester Uta.«
    Nur ungern löste Uta den Blick von der Perlenpflanze.
    »Ich möchte, dass Ihr mir eine Liste aller Bücher schreibt, die in dieser Kammer lagern. Legt dazu auf einem Pergament drei Spalten an. Nennt Titel, Verfasser und Herkunftsort.« Hathui deutete in eine Ecke des Raumes. »Dort am Tisch könnt Ihr arbeiten. Und wenn Ihr fertig seid, helft Schwester Radegunde bei den Säuberungsarbeiten.«
    Uta folgte der Äbtissin zu einem der Bücherstapel und ging in die Hocke.
    »Löst ruhig die Tücher, Schwester«, forderte Hathui sie auf. Wie einen Vorhang zog Uta eines der Leinentücher zur Seite. So viele Bücher hatte sie noch nie gesehen. Ihr Blick wanderte über hölzerne und lederne Einbände, gravierte Metallplättchen, die rötlich schimmerten, und lose Pergamentseiten. Hier und dort glitzerten vergoldete Treibarbeiten hervor.
    »Das ist …«, begann sie, hielt mit dem nächsten Atemzug aber inne.
    »Jede Menge Arbeit«, beschied Schwester Radegunde und biss sich sogleich für diese forsche Bemerkung auf die Lippen.
    »In dieser Kammer müssen an die fünfzig Bücher abgelegt sein«, erklärte die Äbtissin an Uta gewandt. »Schreibt fein leserlich für meine abgenutzten Augen.«
    Uta nickte beflissen und wandte sich gleich wieder dem Stapel vor sich zu.
    »Ich möchte, dass wir diesen Raum wieder als Schreibstube nutzen. Schreiberinnen benötigen Konzentration und Einsamkeit, die sie im Speisesaal nicht finden können. Schwestern, führt Eure Arbeit hier an jedem zweiten Tag nach dem Morgengebet sorgfältig aus«, schloss die Äbtissin ihre Einweisung ab. »Dann werden wir unsere einstige Schreibstube zum Auferstehungsfest des Herrn wieder zurück haben.«
    »Schnell, bevor noch jemand kommt!« Bebette, die vor der Tür Wache schob, spähte den leeren Gang aufgeregt hinunter. Nervös begann sie, an den Fingernägeln zu kauen.
    »Es ist gleich angerichtet«, drang es deutlich gelassener aus dem Inneren der Zelle. »Das riecht ja schrecklich! So, noch eine letzte Fuhre.« Notburga kicherte.
    »Nicht so laut. Man wird uns hören!« Bebette trat nervös mit den Füßen auf der Stelle. »Achtung! Schritte!« Erneut blickte sie den Gang hinab, sah aber niemanden kommen. »Wenn uns die Äbtissin erwischt, sind wir dran«, flüsterte die jüngere der Hildesheimer Schwestern. Sie wusste, dass Hathui Billung für Zankereien unter den Sanctimonialen wenig Verständnis aufbrachte. Mit einem Ausschluss aus dem Stift hatte die Äbtissin Notburga einst gedroht, nachdem diese Klara geohrfeigt hatte, weil sie sich in einer Unterweisung übergangen fühlte. Wie aber, sorgte sich Bebette plötzlich, sollte eine aus dem Stift ausgeschlossene Dame – eine Dame ohne Ehre – jemals noch einen vornehmen Mann finden? »Einen edlen Herrn, in leuchtende Stoffe gewandet, mit einem Bart über der Oberlippe und dunklen Haaren, so sollte er sein«, flüsterte sie leise vor sich hin und ließ von ihren Nägeln ab. »Und eines Tages werde ich Burgherrin sein!« Ein Lächeln überzog Bebettes Gesicht, als sie die vielen glitzernden Gewänder sah, die sie dann tragen dürfte. Ihre Gedanken wanderten zu den wenigen glücklichen Tagen im Stift zurück, an denen sie und die Schwester während des Gottesdienstes, von der Empore aus, einige Blicke auf die Messteilnehmer von Pater Wolfhag hatten werfen können. Sie wollte so gerne einen der edel gewandeten Herren persönlich treffen. Einen Ausschluss aus dem Kloster durfte sie deshalb nicht riskieren. Aber wer eine Burg mit vielen Mägden und großem Gesinde anweisen wollte, musste auch lernen, andere zu unterwerfen. Diese Erkenntnis würde das schwesterliche

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