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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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immer?«, fragte er.
    »Ein bisschen«, gestand Uta.
    »Sagt mir, warum?«
    Uta zögerte zunächst, weil sie nichts Falsches oder gar Dummes in Gegenwart des Kaplans von sich geben wollte, der im ganzen Reich nicht nur als Schreiber, sondern auch als Verskünstler bekannt war. So begann sie vorsichtig: »Ich denke, dass die Menschen unserer Zeit mit einer anderen Friedensordnung vertraut sind, sie stellen Frieden auf eine andere Art her. Ein Konfliktfall wird auf eine Weise zu lösen versucht, die es allen Beteiligten ermöglicht, das Gesicht zu wahren.« Das war ihr während der zahlreichen politischen Gespräche während des Umritts klargeworden und hatte einst mit der diplomatischen Herzogin Gisela in Quedlinburg begonnen.
    »Da habt Ihr nicht unrecht«, entgegnete Wipo und strich sich mit der knöchernen Hand über den Schädel. »Ein solches Vorgehen könnte die Grundlage dafür sein, Frieden durch ein Gesetz einzufordern.«
    »Per Gesetz Frieden einfordern?« Uta erinnerte sich an die Rechtsnormen Kaiser Karls. Sollten diese nun einfach so verändert werden?
    Wipo beobachtete Utas Mienenspiel eine Weile. Dann fuhr er fort: »Der König ist der Hüter des Gesetzes, nicht wahr?« Uta nickte zustimmend und legte das Buch und ihre Pergamente beiseite.
    »Dann kann er auch Gesetze machen.« Wipo schaute sie erwartungsvoll an. »Erst recht für die ihm Unterworfenen und Schutzbefohlenen. So ist das seit Jahren. Und so vermag er ebenfalls, den Frieden zu befehlen.«
    Der König machte Gesetze, das verstand Uta. Aber einen Zustand wie den Frieden einfach zu befehlen, war etwas anderes, als Rechtmäßigkeiten festzulegen oder einen Schweinediebstahl zu verbieten. »Kann ein Zustand denn per Gesetz verordnet werden? Und wie können wir sicher sein, dass sich Boleslaw diesem neuen Gesetz des Königs unterwerfen wird?«
    Wipo schien zu erkennen, worauf ihre Überlegungen abzielten. »Ich verstehe Eure beiden Punkte«, entgegnete er. »Frieden ist ein Zustand. Da habt Ihr recht, genauso wie Glückseligkeit und Zufriedenheit. Doch sofern Ihr davon ausgeht, dass die Voraussetzungen für Glückseligkeit und Zufriedenheit erst einmal durch grundlegende Gesetze geschaffen werden müssen, kann ein Zustand wie Frieden durchaus Ergebnis einer Gesetzgebung sein, ohne direkt verordnet zu werden.« Uta grübelte. Glückseligkeit befehlen – darüber hatte sie noch nie nachgedacht. Bisher waren ihr Glück und Unglück stets als gottgegeben erschienen.
    »Und was Euren zweiten Punkt angeht«, fuhr Wipo fort.
    »Boleslaw hat in der Vergangenheit gegen Kaiser Heinrich schon einige Niederlagen einstecken müssen, und jedes Mal hat ihm der Kaiser Zugeständnisse gemacht, damit Boleslaw als Kämpfer sein Gesicht wahren konnte. Dieses Vorgehen zur Lösung eines Konflikts habt ihr vorhin angesprochen. Es könnte als Grundlage für einen Frieden per Gesetz nach Augustinus dienen, denn ein Zugeständnis eröffnet demjenigen, der es gemacht hat, die Möglichkeit, im Gegenzug ebenfalls ein Zugeständnis einzufordern, und sei es auch erst viele Jahre später. König Konrad könnte daher als Nachfolger Kaiser Heinrichs von Boleslaw sehr wohl verlangen, sich einem Gesetz zu unterwerfen, das Frieden befiehlt.«
    Uta biss sich auf die Lippen. »Glückseligkeit und Frieden geben und nehmen – und das nicht von Gottes, sondern aus Menschen Hand?«
    »Für den Frieden zwischen den Individuen ist der von Gott auserwählte König verantwortlich, der mittels Gesetzgebung die Macht auf Erden besitzt, Frieden zu befehlen«, sagte Wipo. »Erinnert Euch der Worte während der Krönungszeremonie in Mainz. Hieß es dabei nicht, dass der König zur höchsten Würde aufgestiegen und ein Stellvertreter Christi sei?«
    Uta folgte seinen Erklärungen gebannt.
    »Auch Augustinus kommt im Gottesstaat zu dem Ergebnis, dass Gott unseren individuellen Frieden unterstützt – wir die höchste Glückseligkeit, den ewigen und vollkommenen Frieden, aber niemals nur aus eigener Kraft erreichen können. Nur wer Gott liebt und von ihm auserwählt wird, wird mit dem Ziel des überirdischen, ewigen Heils und Friedens im göttlichen Staate leben. Weshalb Augustinus für sein Werk auch den Titel Gottesstaat gewählt hat.«
    »Gottesstaat der Glückseligkeit«, wiederholte Uta fasziniert.
    »Welch beeindruckender Gedanke!«
    »Um auserwählt zu werden, können wir einiges tun«, erklärte Wipo. »Augustinus unterscheidet im irdischen Frieden, der die Bedingung für das Erreichen des

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