Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrin der Kelten

Die Herrin der Kelten

Titel: Die Herrin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
Vom Netzwerk:
sie vibrieren. »Du hast die Argumente beider Seiten gehört. Die Stimmen sind jeweils gleich viele. Du gehörst nicht zu den Eceni, von daher kannst du kein endgültiges Urteil fällen, aber du bist vom Großen Rat auf Mona zu uns gekommen; du kennst die Gesetze der Götter und der Menschen ebenso gut wie irgendein anderer hier, und du hast dein eigenes Traumbild, was nicht unerheblich ist. Außerdem ist bekannt, dass du hiervon geträumt hast. Wir dürfen also hoffen, dass du eine Antwort hast. Ist dem so?«
    Der hoch gewachsene Träumer erhob sich von seinem Platz. Es war mittlerweile später Nachmittag. Schon vor langer Zeit hatte er den Türvorhang gehoben, um mehr Licht hereinzulassen. Die Fackeln flackerten und sandten dünne Kräusel schwarzen Rauches in das Dachgewölbe hinauf. Der Rauch senkte sich allmählich wieder herab, vermischte sich mit dem Geruch von Wolle und Leder und den Ausdünstungen schwitzender Menschen, um schließlich den vertrauten Geruch des Winters und der Wärme und Behaglichkeit zu erzeugen. Luain sog diesen Geruch ein und blickte sich um. Die Menschen waren müde und wollten endlich eine Antwort haben. Die jungen Männer unter ihnen, sogar Tagos, wollten Blut sehen; überraschenderweise hatte Tagos sich in dieser Angelegenheit mit Dubornos verbündet. Caradoc dagegen wirkte ruhig und ausgeglichen und hatte besser argumentiert als die anderen; er hatte das Zeug zu einem guten Anführer, wenn man ihm nur beibringen konnte, seinen Stolz zu zügeln. Breaca wiederum hatte ihn erstaunt, ebenso der Römer. Jener war schon vor längerer Zeit gegangen. Nicht lange nach Breacas Rede hatte er darum gebeten, die Versammlung verlassen zu dürfen, und seiner Bitte war entsprochen worden. Niemand wollte ihn zwingen, die Worte, die gegen ihn vorgebracht wurden, mit anzuhören. In den Stunden, die seitdem vergangen waren, hatte niemand mehr neue Argumente vorgebracht, obgleich viele sich diejenigen, die bereits vorgetragen worden waren, noch einmal durch den Kopf gehen ließen.
    Luain mac Calma trat nach vorn auf den Platz, der den Sprechern vorbehalten war. Von hier aus konnte er sehen und gesehen werden, hören und gehört werden. Er nickte der älteren Großmutter zu. »Ich habe einen Traum gehabt«, sagte er. »Und was ich gesehen habe, werdet ihr nicht willkommen heißen. Es hat Auswirkungen, die noch weit über das uns vorliegende Problem hinausgehen. Nichtsdestoweniger glaube ich, dass darin eine Antwort liegen könnte.« Mit einem Finger berührte er die Reiherfeder, die an seiner Schläfe hing, und führte die Ratsmitglieder in die Welt seines Traums.
     
    Die Hirschkuh stärkte sich an dem frischen Lärchengrün und reckte dabei den Hals, um mit ihrer Zunge die jungen Blätter an den höheren Ästen abzurupfen. Ihr Atem wärmte Bán, von einer wirbelnden Brise in seine Richtung getragen. Über seinem Kopf trommelte ein Specht auf die Rinde des Baums ein, und von einem noch höher gelegenen Ast schrie eine Elster Obszönitäten herab. Hail, der neben ihm lag, drehte plötzlich den Kopf und schlug zweimal mit dem Schwanz auf den Boden. Die Hirschkuh zuckte mit den Ohren, die so groß waren wie die Hände eines Jungen. Sie hörte abrupt zu fressen auf, und ein Lärchenzweig schnellte nach oben. Wieder kreischte die Elster.
    Hinter Bán ertönte eine Stimme. »Brauchst du keinen Speer, um deine Beute zu erlegen, Bán Hasenjäger?«
    Bán brauchte sich nicht umzudrehen, um zu sehen, wer da gekommen war. Die Stimme war ihm genauso vertraut, wie schon der leichtfüßige, behutsame Schritt es gewesen war. »Ich habe Hail«, antwortete er. »Und das hier.« Er klopfte auf das Heft seines Gürtelmessers. Es war lange die Quelle seines Stolzes gewesen, dass er keinen Speer brauchte und dass er sich näher an das Wild anpirschen konnte als irgendjemand anderer und es erlegen konnte, noch ehe es die Flucht ergriff. Er schob sich unter dem Stechpalmenbusch hervor, unter dem er bis jetzt gelegen hatte. Die Hirschkuh beäugte ihn mit ziemlich begrenztem Interesse. Als er sich umwandte, sagte er: »Ich jage nicht mit drei Hunden und mindestens ebenso vielen Speeren, so wie andere es tun.«
    Der Römer setzte sich, den Rücken gegen eine kleine Esche gelehnt. Er sah erschöpft aus. Unter den Anstrengungen des Tages hatten sich die Krähenfüße um seine Augen herum noch vertieft. Er nickte, ganz so, als ob das Jagdverhalten eines Jungen einen wichtigen Platz im Leben des Römers einnähme. »Du meinst, so wie

Weitere Kostenlose Bücher